Baby hat schwere Schüttel-Verletzungen – Eltern beschuldigen sich gegenseitig, Staatsanwalt muss Rückschlag einstecken
«Schlaf und Geld waren knapp, die Beziehung jung, und die Mutter wollte sich beweisen.» So fasst der Staatsanwalt die Ausgangslage aus seiner Sicht zusammen, die dazu geführt haben soll, dass einem zwei Monte alten Baby eine Sonde in den Kopf eingesetzt werden musste. Diese war wegen einer Hirnblutung nötig, daneben hatte das Mädchen beide Schienbeine, den Oberarm und sieben Rippen gebrochen.
Die Verletzungen, so stellten es die Ärzte fest und so sagte es Gutachterin Stephanie Grünewald vor Gericht aus, deuteten auf ein «Schüttelereignis» hin. Doch im Prozess vor dem Bezirksgericht Zofingen sagten der Vater als auch die Mutter, sie hätten ihre Tochter nie geschüttelt oder fallen gelassen.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Mutter ihr Kind verletzt hat, dem Vater wirft sie vor, er hätte die Überforderung der Mutter erkennen und eingreifen müssen. Dem Kind geht es mittlerweile soweit gut, wie beide Eltern aussagten. Ob es eventuell später noch unter den Folgen zu leiden habe, wird sich erst mit den Jahren zeigen. Seit kurzem besucht das Mädchen den Kindergarten – das Verfahren zieht sich nun schon viereinhalb Jahre hin.
Gespräch zwischen Mutter und Polizistin nicht als Beweis zugelassen
Die Staatsanwaltschaft erlitt am Mittwoch gleich zu Prozessbeginn einen herben Rückschlag: Der Verteidiger der Mutter stellte Anträge, um verschiedene Beweismittel auszuschliessen. Seine Mandantin sei zu wenig klar auf ihr Recht auf einen Anwalt hingewiesen worden, beim Verhör sei sie massiv eingeschüchtert worden, und bei einem informellen Gespräch mit einer Polizistin habe man sie nicht darüber aufgeklärt, dass die Aussagen gegen sie verwendet werden könnten.
«Dass die Verteidigung versucht, die Verwertbarkeit der Beweise anzufechten, zeigt doch nur, wie belastend die Aussagen sind», erklärte der Staatsanwalt. Doch die Richter gaben der Verteidigung nach einer halbstündigen Beratung recht. Deshalb sind nun die Einvernahmeprotokolle und das Gespräch zwischen der Mutter und der Polizistin nicht mehr als Beweise zugelassen. Die Aussagen vor Gericht, die Krankenakten und ein Brief, den die Mutter an die Staatsanwaltschaft geschrieben hat, sind alles, was bleibt.
Mutter: «Der Vater war kalt und emotionslos»
An der Verhandlung erklärte die Mutter, der Vater der gemeinsamen Tochter sei ihr gegenüber gewalttätig und dem Kind gegenüber kalt und emotionslos gewesen. Sie dagegen sei nie gestresst gewesen. «Meine Tochter hat nur geweint, wenn sie Hunger hatte, sie war ein sehr ruhiges Kind.» In der Mutterrolle fühle sie sich sehr wohl, sie geniesse jede Sekunde mit ihrer Tochter. Das Kind ist in einem Heim, die Mutter darf es zweimal, der Vater einmal pro Woche besuchen.
«Wie hat sich denn der Vater um das Kind gekümmert?» will Gerichtspräsident Thomas Meier wissen. «Am Abend hat er ihr den Schoppen gegeben und sie gewickelt.» Ob der Vater geduldig gewesen sei, fragt Meier weiter. «Nicht so, er war in dieser Zeit nervös und gestresst. In seiner Obhut hat sie oft geweint, das hat sie den Tag durch nicht gemacht.»
Staatsanwalt vermutet psychische Erkrankung
Die Staatsanwaltschaft zeichnet ein ganz anderes Bild der damals 20-jährigen Mutter. Diese sei überfordert gewesen, die Schwiegereltern hätten Depressionen vermutet und sie habe unter hohem Erwartungsdruck von Seite der Familie gestanden. «Sie suchte nach Aufmerksamkeit und Bestätigung», erklärte der Staatsanwalt. Möglich sei ein Münchhausen-Stellvertretersyndrom. Bei dieser psychischen Erkrankung erfinden oder verursachen die Täter bei ihren Opfern, meistens Kindern, Symptome, um Mitleid und Unterstützung aus ihrem Umfeld zu bekommen.
Zudem sei die Mutter sehr aufbrausend, habe ihren Freund auch schon wegen Nichtigkeiten aus der Wohnung geschmissen und im Streit mit Dingen nach ihm geworfen. Die Verteidigung führte dagegen ins Feld, es sei doch etwas gewagt, mit dem Münchhausen-Stellvertretersyndrom eine psychische Erkrankung ins Feld zu führen, wenn man selber nicht vom Fach sei.
Der Vater will nichts mitbekommen haben
Der Vater sagte vor Gericht aus, er habe das Kind nur selten betreut, weil er den ganzen Tag gearbeitet habe. Dass seine Frau überfordert war oder das Kind häufig zum Arzt musste, sei ihm nicht aufgefallen. Sein Verteidiger führte zudem im Plädoyer aus, sein Mandant habe die Misshandlung des Kindes unmöglich erkennen können: «Bei den verschiedenen Arztbesuchen haben die Fachpersonen ja auch nie eine Misshandlung erkannt. Wie hätte es ein medizinischer Laie und unerfahrener Vater erkennen sollen?»
Auch bestreitet der Vater und frühere Partner, gegenüber seiner Freundin gewalttätig gewesen zu sein. Diese wirft ihm unter anderem vor, er habe sie während ihrer Schwangerschaft gegen den Bauch getreten.
Während beide Verteidiger für ihre Mandanten einen Freispruch forderten, verlangt die Staatsanwaltschaft eine teilbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren für die Mutter. Sprich: Sie müsste für mindestens ein halbes Jahr ins Gefängnis, wie lange genau, entscheiden die Richter. Für den Vater ist eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen und eine Busse gefordert.
Die Urteilseröffnung ist auf Donnerstag Mittag angesetzt.