Immer mehr Elektroautos: Eine Aargauer Firma hat die Lösung gegen den Stromkollaps
In Andermatt zeigt sich beispielhaft, welche Probleme mit der Elektromobilität verbunden sind. In der Urner Gemeinde wird durch Wind- und Wasserkraftwerke Strom erzeugt, die Pisten-Beschneiungsmaschinen und die Bergbahnen benötigen aber auch viel Energie.
Als Unternehmer Samih Sawiris vor seinem Hotel 300 Ladesäulen für Elektroautos hingestellt hat, änderte sich die Situation grundlegend: Denn würden alle Stationen gleichzeitig Fahrzeugbatterien laden, würde das mehr Strom verbrauchen als alle Häuser, Hotels, Bergbahnen und Beschneiungsmaschinen zusammen.
Die Lösung für das Problem in Andermatt kommt aus dem Aargau: Die Vivavis Schweiz AG mit Sitz in Baden ist schweizweit führend in Sachen intelligente Stromnetze, sogenannten «Smart Grid». Die Technik sorgt unter anderem dafür, dass der Strombedarf der Ladestationen besser verteilt werden kann, wie Geschäftsführer Andre Kreuzer erklärt: «Typischerweise kommen viele Gäste gleichzeitig an, die Autos stehen dann aber auch eine Zeit lang in den Ladestationen.»
Wenn das System nun weiss, bis wann das Fahrzeug wieder geladen sein muss, kann der Ladevorgang dann stattfinden, wenn der Strom zur Verfügung steht. «Damit der Kunde mitteilt, wann er wieder abfährt, muss man ihm auch etwas dafür geben – zum Beispiel einen Rabatt auf den Strom.»
Wenn das Fahrzeug also an der Ladestation identifiziert wird, und über eine App auf dem Mobiltelefon die Kreditkartendaten abgefragt werden, kann der Kunde auch seine Pläne mitteilen und erhält dafür eine Ermässigung.
Das «Problem Andermatt» gibt es auch in anderen Gemeinden
Das Problem, dass viel Strom zum gleichen Zeitpunkt benötigt wird, könnte auch in anderen Gemeinden bald zur Realität werden. Der Anteil der Elektroautos unter den Neuzulassungen war lange zwischen 1 und 3 Prozent. In der Coronakrise ist dieser Wert aber auf 25 Prozent gestiegen. «Wir erwarten, dass es künftig noch mehr sein könnten», sagt Kreuzer. In der Schweiz habe ein Auto eine durchschnittliche Lebensdauer von sechs bis sieben Jahren. «Wir haben noch zwei bis drei Jahre Zeit, dann gibt es ein Kapazitätsproblem.»
Dass das Niederspannungsnetz durch das Wachstum der E-Mobilität an seine Grenzen stösst, hat auch mit dem «Gleichzeitigkeitsfaktor» zu tun, wie der Experte erklärt: «Nehmen wir an, dass zehn Häuser gemeinsam am Stromnetz angeschlossen sind, jedes von ihnen ist so ausgelegt, dass es 100 Ampere beziehen kann. Das Netz ist aber nicht so konstruiert, dass alle gleichzeitig 100 Ampere beziehen können, denn die Betreiber haben damit gerechnet, dass maximal 30 Prozent des Strombedarfs gleichzeitig erfolgt.»
Wenn nun mehrere Hausbesitzer zwischen 17 und 18 Uhr von der Arbeit nach Hause kommen und ihr Auto einstecken, dann sind diese 30 Prozent überschritten. Diese Herausforderung sei noch nicht von allen Elektrizitätswerken erkannt worden, sagt Kreuzer: «Etwa ein Drittel hat es realisiert, ein Drittel hat es nicht realisiert, und ein Drittel ist der Meinung, dass es gar kein Problem gibt.»
Auch Produzenten machen das Netz komplexer
Was passiert, wenn die Stromanbieter nichts unternehmen? «Die Ladestationen sind bewilligungspflichtig – möglicherweise könnten dann mancherorts keine neuen Ladestationen mehr gebaut werden», sagt Kreuzer.
Das Niederspannungsnetz ist aber nicht nur wegen der Elektroautos komplexer geworden. Es gibt auch mehr Fotovoltaikanlagen, die Strom einspeisen. In Deutschland hat das in manchen Fällen dazu geführt, dass in ganzen Quartieren die Flachbildfernseher explodiert sind, weil die Spannung zu stark gestiegen ist. «Mit Messinstrumenten und der entsprechenden Software ist es möglich, das zu regeln», erklärt Kreuzer. Insgesamt sei es also für die Elektrizitätswerke nötig, dass sie mehr Informationen von ihren Kunden haben.
«Früher war es so, dass im Niederspannungsnetz relativ klar war, wann die Stromspitzen sind – etwa um 12 Uhr Mittags, wenn die Herdplatten angeschaltet wurden. Heute ist alles komplexer geworden», sagt Kreuzer. Während das Höchst- und Hochspannungsnetz schon länger über eine Intelligenz verfügt, ist das im Niederspannungsnetz noch nicht gleichermassen ausgeprägt (siehe Box). «Umso mehr Infos, desto grösser die Chance, dass ein Netz funktioniert», fasst Kreuzer zusammen. Die Anlage im Haus liefert also idealerweise auch Messwerte an das Elektrizitätswerk.
Es geht nur mit Solidarität
Wo liegen die Herausforderungen, um die Netze intelligenter zu machen? «Einerseits stelle ich fest, dass die Verbände rund um die Solarenergie und die Verbände der Elektrizitätswerke häufig wie Hund und Katz agieren – dabei müssten sie zusammenarbeiten», sagt Kreuzer.
Zudem müssten die Elektrizitätswerke zu ihren Kundinnen und Kunden eine modernere Beziehung aufbauen. Als positives Beispiel nennt er Energie Freiamt: Das Unternehmen setze sich mit den Endkunden in Verbindung und helfe beispielsweise bei der Planung und Umsetzung von Fotovoltaikanlagen. «Die Elektrizitätswerke haben es in der Hand, das Problem wesentlich zu entschärfen.» Auch Gemeinden könnten hier einen Beitrag leisten: «Manche finanzieren Ladestationen vor, damit solche mit intelligenter Technik verbaut werden», nennt Kreuzer ein Beispiel.
Die E-Mobilität mache es nötig, dass nicht jeder nur an sich denke, sagt Kreuzer. «Wenn ich einen kurzen Arbeitsweg habe, dann reicht es vielleicht, wenn ich das Auto einmal in der Woche lade. Wenn aber alle immer einen vollen Akku haben möchten, kann das mit dem momentanen Netz nicht funktionieren.»
Für das nationale Stromnetz (Höchstspannung) ist die Swissgrid verantwortlich. Für das Hochspannungsnetz, das die grobmaschige Verteilung regelt, sind etwa die Axpo oder die AEW zuständig. Das Mittelspannungs- und Niederspannungsnetz wird von regionalen Elektrizitätswerken betrieben, etwa Energie Freiamt oder die Regionalen Technischen Betriebe (RTB).