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Das BAG veröffentlicht neue Zahlen – und damit Argumente gegen Covid-Kritiker

Im Kampf gegen falsche Behauptungen zum Covid-Geschehen liefert das BAG neue Daten: Sie zeigen etwa auf, wieso jemand wirklich ins Spital musste.

Das Bundesamt für Gesundheit veröffentlicht seit rund einer Woche neue Daten zum Pandemie-Geschehen in der Schweiz. Die Daten liefern neue Grundlagen zu zwei viel diskutierten Fragen: Wie viele Menschen mussten wegen Covid, wie viele mit Corona ins Spital? Und wurden tatsächlich Spitalbetten während der Pandemie abgebaut?

Diese beiden Fragen sorgen in den vergangenen zwei Jahren landauf, landab immer wieder für heftige Diskussionen, unzählige Verschwörungstheorien und Behauptungen. Wir schauen uns deshalb genau an, was die neusten Daten zeigen.

Mit oder wegen Corona im Spital?

Die wohl spannendste Statistik gibt es neuerdings zu den genauen Hospitalisierungsgründen. Hier drehte sich lange die Diskussion über Fälle wie Beinbrüche oder Blinddarm-Entzündungen, die wegen einer nebensächlichen Covid-Infektion zu «Corona-Hospitalisierten» wurden. Dazu las man etwa die Behauptungen, wonach mit übertriebenen Zahlen Panik verbreitet werde.

Solche vermeintliche «Erklärungen» von Covid-Skeptikern erwies sich bald als falsch. So berichteten Pflegende von Intensivstationen eindrücklich, wie sehr die Spitalstationen ausgelastet waren. Diese Einblicke werden nun durch Daten bestätigt. In der folgenden Grafik sehen wir, bei wie vielen Hospitalisierten Corona der primäre Grund für den Spitaleintritt» war.

Dargestellt werden die wöchentlichen Neuhospitalisierungen in der Schweiz.

Zwei Dinge fallen hier auf: Ja, die Mehrheit der Covid-Patienten musste tatsächlich wegen der Infektion ins Spital. Wie viele es genau sind, kann aber nicht auf die Nachkommastelle genau gesagt werden: Das BAG weiss bei sehr vielen Covid-Hospitalisierungen nicht, was der Hauptgrund für den Spitaleintritt war.

Ein Grossteil dieser «unbekannten Fälle» fand zu Beginn der Pandemie statt, als beim Gesundheitswesen vieles auf den Kopf gestellt wurde. Erst mit der Zeit etablierte sich das Meldesystem, bei dem behandelnde Ärztinnen differenzieren mussten: Leidet ein Patienten wegen Covid unter einer schwere Lungenentzündung – oder ist die Infektion nur eine Nebendiagnose? Dazu aber später mehr.

Ein Blick in den Kanton Tessin veranschaulicht das gut: Er war aufgrund der Nähe zum Infektionsherd im Norden Italiens besonders früh und stark vom Pandemieausbruch betroffen. Beim Höhepunkt der Krise kam jeder fünfte Hospitalisierte aus dem Tessin. Es war die Zeit, als Ärztinnen und Ärzte vermutlich andere Sorgen hatten, als die bürokratisch-genaue Erfassung jedes Erkranken. Oder wie der oberste Kantonsarzt der Schweiz, Rudolf Hauri, zu watson sagt:

«Ärzte behandeln primär. Statistische Meldungen haben diesbezüglich für die Behandlung keinen Mehrwert.»

Zahlen aus dem Tessin

Daten aus dem anfangs schwer getroffenen Kanton Tessin.

Dass es aber auch nach der ersten Welle zu zahlreichen Hospitalisierungen ohne statistische Daten kam, liegt am fehlenden politischen Willen, wie mehrere angefragte Kantonsärztinnen und Kantonsärzte erläutern. «Datenschutz steht über Daten-Vollständigkeit» sagt eine Verantwortliche im Hintergrundgespräch mit watson – sprich: es gibt sehr viele Datenquellen, die schlicht nicht oder noch nicht zusammengeführt wurden.

Ein Spitalaufenthalt im Zusammenhang mit Covid würde nämlich eine Unmenge an Daten generieren: Was war die Eintritts- und Austrittsdiagnose? Welche chirurgische und internistische Behandlungen wurden vorgenommen? Diese Daten liegen bei den Kantonen, Krankenkassen, Krebsregistern, Lugenligen, beim BAG oder beim Bundesamt für Statistik vor und verunmöglichen – Stand heute – eine zuverlässige Aussage. Kommt hinzu, dass die Daten in unterschiedlicher Qualität vorliegen und aus Datenschutzgründen nicht zusammengeführt werden können.

Im Normalfall, wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, versuchen Kantonsärztinnen und Kantonsärzten diesen Daten «nachzurennen». Die schiere Unmenge an Hospitalisierungen zu Beginn der Pandemie verunmöglichte das aber: Das Meldesystem musste im Februar/März 2020 erst neu konzipiert werden – was uns zu folgender Grafik führt: Sie zeigt, wie sich der Anteil der Hospitalisierungen «wegen Covid» entwickelte: Die grosse Anzahl der «unbekannten» Spitaleintritte im Zusammenhang mit der Pandemie von 12’409 verfälscht bis heute die genaue Spitalstatistik.

Entwicklung des Gesamtanteils von Hospitalisierten «wegen Covid» und «mit Corona».

Erstaunlich ist dabei, dass die vorliegenden Daten trotzdem aufzeigen können: Ja, die Mehrheit aller Covid-Patientinnen und -Patienten (23’968) musste wegen klassischem Covid-Symptomen ins Spital. Der Anteil liegt bei knapp über 50 Prozent, er dürfte aber deutlich höher sein, hätte es ein besseres Meldeverfahren gegeben.

Die Mär der «abgebauten Spitalbetten»

Der zweite neue Datensatz, der seit Anfang Februar 2022 vorliegt, räumt mit den falschen Behauptungen zum angeblichen «Spitalbetten-Abbau» auf. Wir erinnern uns: Letztes Jahr forderten Exponentinnen und Exponenten der SVP die Aufstockung der Intensivbetten. Sie stützten auf die mittlerweile bekannte Grafik des BAG, wonach in der Schweiz augenscheinlich Betten mitten in der Pandemie abgebaut wurden.

Diese Mär verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der politischen Debatte und führte gar zu Vorstössen. Bald aber war klar, dass es nichts bringt, einfach ein zusätzliches Bett irgendwo aufzustellen: für die intensive Pflege von Covid-Patientinnen und -Patienten braucht es neben den Betten, auch Personal und Medizinalgeräte. Man unterscheidet deshalb zwischen «zertifizierten» und «unzertifizierten» Betten auf der Intensivpflegestation (IPS).

Der neue Datensatz dazu zeigt die Entwicklung dazu eindrücklich langweilig auf: Die Zahl der betriebenen zertifizierten IPS-Betten veränderte sich während der ganzen Pandemie praktisch nicht. Wir sehen in der folgenden Grafik eine beinahe gerade verlaufende, durchgezogene Linie.


Die Schweiz schuf zu Beginn zwar neue sogenannte «Ad-hoc-Betten» auf den Intensivstationen. Sie konnten temporär neue IPS-Patientinnen aufnehmen. Deren Betrieb erfolgte aber durch Mehrarbeit des bestehenden Fachpersonals, wie das BAG dazu erklärt. Die Überstunden und Überbelastung hatten schwerwiegende Konsequenzen, wie die Behörden vor wenigen Wochen feststellten: zahlreiche Pflegende gaben den Beruf auf.

Die beinahe gerade verlaufende pinke Linie zeigt deshalb leicht gegen unten. Wir veranschaulichen diese Entwicklung in der nächsten Grafik durch abgeschnittene Achsen: Innerhalb von zwei Jahren verlor die Schweiz fast 50 zertifizierte IPS-Betten. Nicht etwa, weil sie «abgeschafft» wurden: Der «Sollbestand» – also die geforderte Kapazität – blieb hoch, während die Anzahl der tatsächlich betriebenen zertifizierten IPS-Betten im vergangenen Jahr nach und nach sank.


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