Europa hat Angst vor dem Credit-Suisse-Virus und setzt den Bundesrat unter scharfe Beobachtung
«Das war der letztmögliche Moment, länger hätten die Schweizer Behörden nicht mehr warten dürfen», sagt ein Mann, der sich mit Finanzkrisen und Bankrettungen auskennt. Wir erreichen den Experten am Telefon. Er sitzt in einer europäischen Hauptstadt und will auf keinen Fall namentlich genannt werden. Credit Suisse ist ein heisses Eisen – auch in politischer Hinsicht.
Beim Schweizer Finanzdepartement und anderen mit der akuten Vertrauenskrise der Credit Suisse befassten Stellen melden sich dieser Tage viele hochrangige Vertreter ausländischer Behörden, wie es aus gut unterrichteten Quellen heisst. Vor allem aus jenen Ländern mit einem starken Finanzplatz.
Die französische Premierministerin Elisabeth Borne äusserte sich gar öffentlich. Man unternehme alles, damit sich das Credit-Suisse-Virus nicht auf die französischen Kredithäuser übertrage, versicherte sie am Mittwoch den besorgten Abgeordneten des französischen Oberhauses. Ein Risiko für das eigene Bankensystem bestehe zwar vorläufig nicht, dennoch wolle man vom Bundesrat wissen, wie dieser die Bank unterstützen wolle und könne, sagte Borne.
Angst vor der «grossen» Credit Suisse
Die spontane, besorgt klingende Wortmeldung zeugt von der beträchtlichen Angst des Finanzplatzes Paris, in den Abwärtssog der aktuellen Bankenkrise gezogen zu werden. «Die französischen Geldhäuser sind faktisch viel empfindlicher für die Schwierigkeiten einer grossen Schweizer Bank als einer kleinen kalifornischen Bank», kommentierte die führende französische Wirtschaftszeitung «Les Echos» mit Verweis auf die Liquiditätsprobleme – unter anderem – der Silicon Valley Bank (SVB).
Die Nervosität der Finanzmärkte ist längst auf die grosse Politik übergesprungen. Der britische Finanzminister Jeremy Hunt, der dem englischen Parlament am Mittwoch das Haushaltsbudget vorstellte, sagte am nächsten Tag im Wissen darum, dass die Credit Suisse soeben eine Liquiditätsinjektion von 50 Milliarden Franken von der Nationalbank erhalten hatte: «Ich bin ermutigt durch diese Neuigkeit. Klar, habe ich die Situation in der Schweiz verfolgt, und der Gouverneur der Bank of England verfolgt sie sehr eng.»
Hunt erinnert sich, dass einer seiner Vorgänger im Oktober 2008 nach der Lehman-Brothers-Pleite an der Wallstreet über Nacht 75 Milliarden Franken lockermachen musste, um die Royal Bank of Scotland, die Lloyds Bank und HBOS mit dem Einschuss zusätzlicher Eigenmittel zu stabilisieren und die verunsicherten Investoren und Kunden zu beruhigen. London musste später noch viele weitere Milliarden für ähnliche Rettungsaktionen ausgeben, um die damalige Finanzkrise zu bewältigen.
An eine vernünftige Haushaltsplanung ist in solchen Zeiten nicht zu denken. Aber eine vernünftige Haushaltsplanung ist genau das, was die Regierung von Rishi Sunak nach dem kläglichen Intermezzo von Liz Truss den britischen Wählerinnen und Wählern vormachen will, damit sie das Vertrauen in die Konservative Partei nicht ganz verlieren. Dazu darf das Credit-Suisse-Virus auf keinen Fall auch noch die Londoner City infizieren.
Sogar der deutsche Kanzler äussert sich
Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz zeigte sich zufrieden mit der Nationalbank-Intervention bei der Credit Suisse: «Auch in der Schweiz sind jetzt schnell Massnahmen ergriffen worden. Das schafft die Sicherheit, auf die alle Bürgerinnen und Bürger auch hierzulande vertrauen können.» Die Sicherheit, die Scholz seinen Landsleuten verspricht, müssen die Schweizer Behörden nun weiter liefern. Viel deutlicher hätte der deutsche Regierungschef kam aussprechen können, dass nochmals ein Tag wie der vergangene Mittwoch für Europa schlicht inakzeptabel ist.
Etwa so liest sich denn auch das Pflichtenheft, das sich Bundesrat, Nationalbank und Finanzmarktaufsicht in Sachen Credit Suisse aus den europäischen Hauptstädten diktiert bekommt: Keine Experimente, die zu neuen Kursstürzen in europäischen Aktien führen und deren Vertrauen beschädigen könnte! Lieber früher als später von Amtes wegen intervenieren! Eine Zwangsheirat mit der UBS ist im Zweifelsfall besser, als dem Credit-Suisse-Management lange zuzusehen, wie es die Bank aus eigener Kraft zu stabilisieren versucht!
Man darf vermuten, dass diese und ähnliche Handlungsanweisungen bei den Schweizer Behörden nicht durchgehend gut ankommen. Aber deren Gestaltungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Es ist ein Fakt, dass ausländische Behörden in Situationen erhöhter Spannung sehr aktiv versuchen, auf die Schweiz Einfluss zu nehmen, sagt der anonyme Informant am anderen Ende der Telefonleitung. Die Schweiz hat eben eine spezielle Position: Sie hat Banken, die sind so gross wie die grössten Banken Europas, aber sie hat im Unterschied zu Paris, Berlin oder Athen die alleinige Hoheit über die Informationen dazu. So fragen sich alle, wenn es brennt auf dem Schweizer Finanzplatz: «Können die das?»
Mysterium um Bundesratssitzung
Alle Augen waren am Donnerstag also auf den Bundesrat gerichtet – dieser hüllte sich aber in Schweigen. Die Bundeskanzlei bestätigte am Abend lediglich, dass der Bundesrat eine ausserordentliche Sitzung abgehalten hat. Er habe sich von der Finanzmarktaufsicht und der Nationalbank über die Situation der Credit Suisse orientieren lassen. «Über den Inhalt dieser Sitzung wird nicht informiert», teilte die Bundeskanzlei mit und verwies auf die Medienmitteilung von Finanzmarktaufsicht und Nationalbank vom Vortag.
Offensichtlich versucht der Bundesrat, den Ball flach zu halten und ja keine Krisenstimmung aufkommen zu lassen. Ganz anders als bei der Rettung der UBS im Jahr 2008. Damals traten nebst der zuständigen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf auch Bundespräsident Pascal Couchepin und der damalige Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand vor die Medien. Doch damals erhielt die Grossbank auch direkt eine Wandelanleihe vom Bund.
Das Schweigen des Bundesrates war eindringlich. Auch aus bundesratsnahen Kreisen war nichts zu erfahren. Die Angst scheint gross, ein falsches Wort zu sagen – und neue Unsicherheit zu schüren.