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Barbara Stocker Kalberer im zt Talk: «Alle wissen, dass wir in eine echte Versorgungsnotlage hineinlaufen – und niemand macht etwas»

Viele Frauen interessieren sich für den Hebammenberuf – aber es fehlt an allen Ecken und Enden an Praktikumsplätzen, sagt die Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbandes im zt Talk.

Seit 2013 ist Barbara Stocker Kalberer Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbandes, in dem rund 3400 Frauen und ganz wenige Männer organisiert sind. Dass sie Hebamme geworden sei, sei die richtige Entscheidung gewesen. «Es ist wirklich der schönste Beruf auf der ganzen Welt.»

Ihr Verband stehe allerdings vor grossen Herausforderungen. «In den Spitälern sind es die gleichen Themen, die mit der Pflegeinitiative auf den Tisch gekommen sind», sagt Barbara Stocker Kalberer, die in Strengelbach wohnt und im Herbst auf der SP-Liste für einen Sitz im Nationalrat kandidiert. Die Stellen seien ungenügend besetzt, dadurch müssten Hebammen immer wieder einspringen und Dienste übernehmen. «Der Lohn für die anspruchsvolle Arbeit ist tief.»

Zur Person

Barbara Stocker Kalberer (1967) ist in Obermumpf im Fricktal aufgewachsen. Nach der Wirtschaftsmatura besuchte sie die Höhere Pädagogische Lehranstalt (HPL) in Zofingen und war danach bis 1994 Lehrerin in Rothrist. Von 1995 bis 1998 absolvierte sie die Hebammenschule in Luzern. Seit 2007 besitzt sie die Berufsausübungsbewilligung als freiberufliche Hebamme. Von 2009 bis 2012 absolvierte sei ein Studium an der Donau-Universität in Krems mit Abschluss zum Master of Science in Midwifery. Seit 2013 ist sie Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbandes. Sie lebt mit ihrem Mann und den drei fast erwachsenen Kindern in Strengelbach.

«Was vor allem unter den Nägeln brennt, sind die fehlenden Praktikumsplätze. Anders als im Pflegebereich haben wir sehr viele Interessentinnen für die Ausbildung zur Hebamme.» Etwa ein Viertel der Frauen, die sich für den Beruf interessieren, können auch wirklich eine Ausbildung beginnen. «Was sich seit der Pandemie verschärft hat, ist die Tatsache, dass wir über zu wenig Ausbildungsplätze in den Spitälern verfügen.» Diese würden aus Spargründen gestrichen, oder es würden keine Ausbilderinnen mehr zur Verfügung gestellt. «Das ist ein echtes Problem.»

Und eines, das wie eine heisse Kartoffel herumgereicht werde. Das Bundesamt für Gesundheit verweise auf die Kantone, die Kantone verwiesen wiederum auf die Spitäler, die Spardruck geltend machen. «Es ist grotesk: Alle wissen, dass wir in eine echte Versorgungsnotlage hineinlaufen. Und niemand macht etwas.» Zudem ist die Ausstiegsquote hoch. «Der ständige Wechsel zwischen Frühdienst, Spätschicht und Nachtwache ist extrem anstrengend.» Wenn Hebammen ständig unter Zeitdruck stünden, können sie die Frauen nicht so betreuen, wie das notwendig wäre. «Das macht einen mit der Zeit fertig». – «Dazu kommt die ständige Angst im Nacken, einen Fehler zu machen. Man trägt als Hebamme eine grosse Verantwortung.»

In der Pandemie habe der Verband eine «bittere Erfahrung» machen müssen. Die Spitäler hätten entschieden, die Wöchnerinnen möglichst schnell nach Hause zu schicken, um Platz für Corona-Erkrankte zu schaffen. «Besprochen mit uns hat man das nie.» Auch an Schutzausrüstung habe es gefehlt. «Wir wussten nicht, was auf uns zukommt.» Es habe niemand daran gedacht, dass die Hebammen auch noch Teil der Versorgungskette sein müssten. «Mit anderen Worten: Die Schwangeren, die Gebärenden, die Säuglinge – man hat sie einfach vergessen. Und damit die Hebammen auch.»

«Auf all den Krisenpapieren, die es gibt, ist nirgends die Geburtshilfe abgebildet. Dass Kinder jederzeit auf die Welt kommen, auch wenn Krieg herrscht oder es ein Erdbeben gibt, das ging in den Notfallplänen vergessen. Wahrscheinlich auch, weil diese von Männern gemacht sind.» Diese Erfahrung sei für sie zusätzlich ein Grund gewesen, für einen Sitz im Nationalrat zu kandidieren. «Es braucht Pflegende und Hebammen in der Politik. Denn es ist nicht egal, wie wir auf die Welt kommen, wie wir gepflegt werden und wie wir sterben.»

Der Verband

Der Schweizerische Hebammenverband (SHV), den Barbara Stocker Kalberer präsidiert, ist der Berufsverband der Hebammen in der Schweiz. Mit der Gründung im Jahr 1894 ist er die älteste Berufsorganisation für Frauen. Er zählt knapp 3400 Mitglieder und vertritt die Interessen aller angestellten und frei praktizierenden Hebammen. Die im Verband vereinigten Hebammen setzen sich aktiv für einen modernen und attraktiven Hebammenberuf ein. Die Geschäftsstelle des SVH ist in Olten und beschäftigt acht Mitarbeitende.