Befreit er Europa von Putins Fesseln? Robert Habeck kämpft für ein Embargo auf russisches Öl
Auch dieses kurze Handy-Filmchen holt wieder viele Likes, wird tausendfach geteilt. Auf dem vierminütigen Video ist Robert Habeck zu sehen. Er erklärt, wie sich Deutschland rasch von russischem Öl unabhängig machen will. Er erläutert den «deutschen Weg», der kein sofortiges Energieembargo vorgesehen hat gegen Russland. Sondern, dass sein Ministerium im Zusammenspiel mit der Industrie zuerst die Schritte vorbereitet, bevor die Energiezufuhr aus Russland gedrosselt wird.
Habeck, 52, steht in dem Filmchen in weissem Hemd mutmasslich im Innenhof seines Bundeswirtschaftsministeriums. Der Lärm von Baumaschinen ist im Hintergrund zu hören. Er spricht, als ob er mit allen im Volk per Du sei. Umgangssprachlich, ohne seinen Text abzulesen. Sein Haar ist etwas grauer geworden, er wirkt erschöpft. Die ersten fünf Monate als Vizekanzler haben ihm sichtlich zugesetzt. Wegen der russischen Aggression muss Habeck die Energiewende vollziehen. Im Eilzugtempo und mit schmerzhaften Kompromissen.
«Eine Reise, die irgendwie total merkwürdig ist»
Habeck ist vom Typ her quasi der Gegenpol zu Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Regierungschef Scholz tritt Oberlehrerhaft auf, wirkt gereizt und arrogant, wenn ihm Journalisten widersprechen. Die Scholz-Botschaft: ich habe alles im Griff und meine Kritiker haben von nichts eine Ahnung.
Habeck ist versöhnlicher, nimmt Gegenargumente in seine Erzählungen auf, offenbart, in welchem Dilemma er steckt, wenn er in Katar bei den Scheichs nach Alternativen für das russische Gas sucht. «Ich bin hier auf einer Reise, die irgendwie total merkwürdig ist», hadert er in einem anderen Handy-Video mit sich und der Welt, um dann die Fassung rasch wieder zu finden und zu erklären, weshalb das katarische Flüssiggas ein Teil der Lösung sein kann.
Im Hintergrund die Skyline von Doha, das Meer und der blaue Himmel. Habeck im weissen Kurzarm-Hemd und schwarzer Krawatte, sein Haar weht im Wind des Persischen Golfes. Der Kontext der umstrittenen Energiepartnerschaft mit Katar ist dramatisch. Die Szene im Video mit Dohas Wolkenkratzern und dem tiefblauen Meer stehen im totalen Kontrast dazu.
Habeck hat rhetorisch dazugelernt. Noch im Wahlkampf zu den Bundestagswahlen wirkte der Schriftsteller und Philosoph, der erst spät den Weg in die grosse Politik eingeschlagen hat, bisweilen etwas intellektuell distanziert. Seine Sätze sind immer noch manchmal verschachtelt, aber sein Auftreten heute kommt weniger gekünstelt daher, er wirkt nahbarer. Das beschert ihm die höchsten Beliebtheitswerte im Land, er rangiert vor seiner Parteikollegin, Aussenministerin Annalena Baerbock, und weit vor Kanzler Scholz.
Schwedt (Brandenburg): In dieser Erdölraffinerie kommt Rohöl aus Russland über die Pipeline «Freundschaft» («Druschba») an. Vor allem der Grossraum Berlin wird von hier aus mit Energie versorgt.
Martin Meissner/02.05.2022
Während Scholz kaum Emotionen offenbart, zeigt der grüne Vizekanzler immer wieder, wie sehr ihm das Schicksal der Menschen in der Ukraine zusetzt und wie stark ihn der Krieg in politische Dilemmata bringt. Er gibt sich sensibel, fast melancholisch.
«Man kann als Politiker auch mal sagen: Ich weiss hier nicht weiter.»Der Vater von vier erwachsenen Söhnen ist ein untypischer Politiker, dessen Weg nicht von der Parteijugend über Posten in der Fraktion bis ganz nach oben geführt hat, wie bei Politikerkarrieren ansonsten üblich. Er ist seit 20 Jahren überhaupt Mitglied der Grünen, schaffte erst 2009 den Sprung in das Landesparlament von Schleswig-Holstein, wo er sich allerdings bald als Umweltminister gute Noten abholte. Im Wahlkampf sagte er über sich: «Ich hatte ein Leben vor der Politik, und ich weiss darum, dass es auch ein Leben nach der Politik geben kann. Das gibt mir eine innere Freiheit.»
Steinkohleimporte: Von 50 Prozent runter auf acht
Diese ehrliche Art, in der er sich auch fehlbar zeigt, bringt Habeck nicht nur Sympathiepunkte ein, sie erhöhen auch seine Glaubwürdigkeit. Diese braucht er, um die Menschen auf seinen Weg aus der russischen Energie mitzunehmen. Denn dieser Weg, das kündigt er an, wird «weh tun», aber «keine nationale Katastrophe» zur Folge haben.
Habecks Wirtschaftsministerium macht Tempo. Seit Jahresbeginn wurden die Steinkohleimporte aus Russland von 50 Prozent auf heute acht Prozent reduziert. Die russische Kohle zu ersetzen, war kein Problem. China, Australien, die USA oder Indonesien gehören zu den weltweit grössten Förderern des «schwarzen Goldes.» Doch auch der Anteil des russischen Öls hat Deutschland in nur wenigen Wochen massiv gesenkt, in dem Mineralölkonzerne Lieferverträge mit Russland auslaufen liessen.
Noch vor wenigen Wochen deckte Deutschland 35 Prozent seines Ölbedarfs aus Russland ab, nun sind es gerade noch 12 Prozent. Bei Kriegsbeginn wollte Berlin aus Sorge vor volkswirtschaftlichen Turbulenzen nichts von einem sofortigen Ölembargo gegen Russland wissen. Nun drückt Habeck bei der EU aufs Tempo, um einen Öllieferstopp ins nächste Sanktionspapier zu bringen. Habeck warnt aber, dass ein Stopp für russisches Öl vor allem für Ostdeutschland schmerzhaft werden dürfte:
«Dort wird es rumpelig werden, wenn es jetzt stattfinden würde.»
Etwas schwieriger gestaltet sich der Ausstieg aus dem russischen Gas. Die deutsche Industrie ist seit Jahren stark von Putins Gas abhängig. Noch vor dem Krieg bezog Deutschland 55 Prozent seines Gases aus Russland, Habecks Ministerium hat die Zahl bis Ende April auf 35 Prozent gedrückt. Dafür wurde der Erdgasbezug aus Norwegen und den Niederlanden erhöht und Flüssiggas-Importe unter anderem aus den USA gesteigert. Bis Deutschland vollständig aus dem russischen Gas aussteigen kann, wird es laut Habeck aber noch dauern. In den nächsten zwei Jahren sollen zusätzliche Terminals für Flüssiggas an der Nord- und Ostseeküste errichtet werden. Von dort aus soll das Flüssiggas aus den USA und künftig auch aus Katar nach Deutschland geleitet werden.
Der Preis, sich unabhängig von der russischen Energie zu machen, ist hoch. Es ist der Preis, den das Land nun bezahlen muss für eine gescheiterte Politik der vergangenen Jahre, die dadurch geprägt war, den russischen Machthaber durch Handelsbeziehungen besänftigen zu wollen. «All diese Schritte, die wir gehen, verlangen eine enorme gemeinsame Kraftanstrengung aller Akteure, und sie bedeuten auch Kosten, die sowohl die Wirtschaft als auch die Verbraucher spüren», sagt der Klimaschutzminister, aber:
«Sie sind notwendig, wenn wir nicht länger von Russland erpressbar sein wollen.»