Trifluoressigsäure: Grundwasser in der ganzen Schweiz mit schwer abbaubaren Chemikalien verseucht
Es ist zwar erst eine Pilotstudie. Doch bereits deren Ergebnisse lassen aufhorchen. Wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) auf seiner Website schreibt, ist Trifluoressigsäure (TFA) «flächendeckend im Grundwasser» der Schweiz nachgewiesen worden. Verboten ist der Einsatz von TFA nicht. Und auch die gesundheitlichen Auswirkungen sind noch nicht vollständig erforscht. Laut bisherigem Wissensstand kann die Substanz bei Tieren jedoch lebertoxisch sein und die Fortpflanzung beeinflussen.
Klar ist aber bereits jetzt: Diese künstliche Chemikalie, bei der es sich um eine PFAS-Verbindung handelt, gehört nicht ins Wasser. Und klar ist laut dem bereits vor zwei Wochen aufgeschalteten Bericht auf der Website des Bundes auch: Je nach Messstandort unterscheiden sich die Trifluoressigsäure-Konzentrationen in der Schweiz deutlich. Besonders hoch ist die Konzentration demnach im Flachland und in städtischen Gebieten. Und: «Unter Ackerland sind die Konzentrationen signifikant erhöht», steht in dem Bafu-Bericht weiter. TFA gelange dort «grossflächig durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ins Grundwasser».
In geringeren Konzentrationen gelangt Trifluoressigsäure laut Bundesamt für Umwelt zusätzlich mit dem Niederschlag ins Grundwasser. TFA im Niederschlag stammt dabei laut Bafu primär aus gasförmigen Kältemitteln und Treibgasen. «Punktuell» könnten überdies gereinigte industrielle Abwässer zu einer erheblichen Belastung des Grundwassers mit dem Schadstoff führen.
«Es ist sicherlich keine gute Situation»
Als künstlicher, langlebiger Stoff ist TFA damit nach aktuellem Kenntnisstand des Bafu «die mit Abstand am weitesten verbreitete künstliche Chemikalie im Grundwasser». Zuerst über die Bafu-Pilotstudie berichtet haben dasWestschweizer Radio und Fernsehen (RTS)undRadio SRF. Aber auch das Portal Infosperber hat bereits über das neue Gift im Trinkwasser berichtet. TFA aus Wasser zu entfernen, ist demnach nur mit grossem Aufwand möglich. Von Aktivkohlefiltern, wie sie sonst bei PFAS zur Anwendung kommen, wird nur sehr wenig TFA erfasst.
Umweltchemiker Martin Scheringer von der ETH Zürich sagte am Mittwoch gegenüber SRF: «Es ist sicherlich keine gute Situation, so einen Fremdstoff überall im Wasser zu haben und ihn auch langfristig mit dem Wasser zu sich zu nehmen.» Aktuell gebe es noch keine grossen Probleme durch die TFA-Belastung des Grundwassers, sagt PFAS-Experte Scheringer, «aber die werden kommen, wenn man nichts tut».
Das sagt der Bundesrat
Gegenüber RTS spricht Nationalrätin Delphine Klopfenstein-Broggini gar von einer «tickenden Zeitbombe». Es gelte, dieses Thema ernst zu nehmen, fordert die Genfer Grüne. Sie ruft dazu auf, an der Quelle anzusetzen und die Produktion von TFA und anderen PFAS zu reduzieren.
Ganz neu ist das Thema unter der Bundeshauskuppel allerdings nicht. Auf Fragen der Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz hielt der Bundesrat vor zwei Wochen fest: «Ohne eine signifikante Verringerung der Emissionen» werde die Konzentrationen durch TFA in der Umwelt «weiter steigen». Doch mache es wenig Sinn, lediglich den Ausstoss durch die Landwirtschaft in den Fokus zu nehmen.
Und weiter schreibt die Landesregierung in ihrer Vorstossantwort, zu allfälligen verschärften Regulierungen stehe sie im Austausch mit der EU. Ob Brüssel allenfalls weitere Wirkstoffe, die zu PFAS führen, verbieten wolle, entscheide sich frühestens im kommenden Herbst.
Das sind mögliche Folgen für Menschen
Trifluoressigsäure ist eine «hochmobile und gleichzeitig persistente Substanz». Sprich: Sie wird nicht abgebaut. TFA ist vollständig fluoriert und zählt daher zu den PFAS, den per- und polyfluorierten Alkylverbindung und stammt als Abbauprodukt vorab aus Pflanzenschutzmitteln sowie gasförmigen Kälte- und Treibmitteln.
Laut Bafu sind aktuell 28 Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe in der Schweiz zugelassen, «die in ihrer Molekülstruktur mindestens eine CF3-Gruppe enthalten und sich damit potentiell zu TFA abbauen». Im Jahr 2022 wurden insgesamt mehr als 40 Tonnen dieser Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe eingesetzt. Auch aus Arzneimitteln oder vielen Industriechemikalien könne Trifluoressigsäure freigesetzt werden.
PFAS sind eine Gruppe von schwer abbaubaren Chemikalien, die seit Jahrzehnten industriell hergestellt werden. Weltweit werden sie breit eingesetzt und gelangen so in die Umwelt. Darum können sie laut Bafu in der Nahrungskette sowie im Menschen nachgewiesen werden. Für den Menschen stellen viele der tausenden chemischen Substanzen der PFAS-Gruppe laut dem Bund «ein mögliches gesundheitliches Risiko» dar.
PFAS-Funde lassen Ostschweizer Bauern zittern
Während in der Europäischen Union PFAS und deren Folgen schon länger breiter diskutiert werden, gab die Verunreinigung von Böden durch diese schwer abbaubaren Chemikalien hierzulande im vergangenen Sommer erstmals gross zu reden. Im Kanton St. Gallen mussten mehrere Landwirtschaftsbetriebe deswegen ihre Lebensmittelproduktion sogar stoppen. Auch in den Appenzeller Kantonen wissen Experten, dass die PFAS-Langzeitchemikalien wohl an vielen Orten auffindbar sind.
Die aktuelle Pilotstudie zum Vorkommen von Trifluoressigsäure in der Schweiz basiert auf Grundwasseranalysen im Rahmen der Nationalen Grundwasserbeobachtung (Naqua) in den vergangenen zwei Jahren. Untersucht wurden dabei laut Bafu alle knapp 550 Naqua-Messstellen im ganzen Land.