Geschwister zünden eigenen Laden an – deswegen müssen sie die Schweiz verlassen
Das Bundesgericht hat 1987 über einen Fall entschieden, der in die schweizerische Strafrechtsgeschichte als «Rolling-Stones-Fall» einging. Das Dilemma erklärte ein Verteidiger am Donnerstag vor dem Bezirksgericht Aarau mit folgenden Worten: «Wenn zwei Kinder je einen Stein von einer Brücke werfen und ein Auto getroffen wird, und nicht festgestellt werden kann, welches Kind den entsprechenden Stein geworfen hat, sind beide freizusprechen – selbst wenn sie den Steinwurf zugeben.»
Im aktuellen Fall ging es aber nicht um einen Steinwurf, sondern um Brandstiftung. Im Oktober 2018 hatte in Aarau ein Kleiderladen gebrannt, die Untersuchungen haben ergeben, dass die Besitzerin und deren Bruder um 18.06 Uhr den Laden verliessen. Danach war der Raum leer, um 18.18 Uhr löste der Brandalarm aus. Beide Geschwister bestreiten, ein Feuer gelegt zu haben, die Staatsanwaltschaft glaubt, die beiden hätten den Laden zusammen angezündet.
Von der Beschuldigten ist nur ein Satz zu hören
Vor Gericht wollten die Beschuldigten nichts sagen. Der Verteidiger der Ladenbesitzerin, dem dies sichtlich missfiel, weil seine Mandatin erst kurz vor Prozessbeginn beschlossen hatte, zu schweigen, versuchte es trotzdem mit einer Frage: «Haben Sie den Brand gelegt?», wollte er von ihr wissen. «Nein.» Mehr wollte die Frau nicht sagen, es gehe ihr gesundheitlich sehr schlecht, sie müsse viele Medikamente nehmen und fühle sich nicht im Stande, Fragen zu beantworten.
Ihr Verteidiger hätte mit seiner Befragung beweisen wollen, dass seine Mandantin kein Motiv hatte. Sie habe nur Kleider verkaufen wollen. «Sie weiss nicht, wie hoch der Schaden ist, auch nicht, was eine Schadensumme oder eine GmbH ist. Diese Angelegenheiten haben ihr Bruder und ihr Mann erledigt.» Seine Mandantin könne kaum Deutsch, deshalb habe ihr Bruder in vielen Dingen geholfen und sei faktisch der Geschäftsführer gewesen.
Wer hielt die Fäden in der Hand?
Der Anwalt des Bruders stellte die Situation anders dar. Sein Mandant habe nur gelegentlich ausgeholfen, dies sogar unentgeltlich, und hätte vom Geld der Versicherung in keinster Weise profitiert. «Wenn mein Mandant Brandstiftung begangen hätte, dann hätte er sich dafür den denkbar dümmsten Ort ausgesucht: Er wusste von der Überwachungskamera, zudem konnte sich in dem kleinen, geschlossenen Raum nur ein Schwelbrand entwickeln.»
Auch der Anwalt der Besitzerin führte dieses Argument an: «Meine Mandantin wusste von der Überwachungskamera. Als die Polizei anrief, ist sie erschienen, und an den Kleidern wurden Spuren gefunden, die von einem Brandbeschleuniger herrühren sollen. Wer kehrt mit kontaminierten Kleider an einen Tatort zurück?»
Zudem hätte sie keine finanziellen Probleme gehabt, obwohl der Laden nicht gut lief. «Das zeigt sich auch darin, dass sie nach dem Brand im Gebäude bleiben und den Laden später wieder hätte betreiben wollen.»
Keine direkten Beweise, viele Indizien
Die Staatsanwaltschaft argumentierte dagegen, dass es mehrere Brandherde gab und die Brandermittler Brandbeschleuniger nachweisen konnten. «Zudem kam es schon früher zu ähnlichen Vorfällen», machte die Staatsanwältin klar. Nachdem eine Diebstahlversicherung abgeschlossen wurde, wurde Ware gestohlen, und ein Brand war ebenfalls einmal eingetreten. Damals zahlte die Versicherung, eine Brandstiftung konnte nicht nachgewiesen werden.
Doch bereits damals hatte ein Mitarbeiter der Versicherung verlangt, den Fall genau zu prüfen, in einem E-Mail hatte er vermerkt:
«Irgendetwas stinkt hier.»
Das Gericht fällte sein Urteil einstimmig, wie Gerichtspräsident Reto Leiser erklärte. «Es ist Aufgabe der Verteidigung Zweifel zu sähen, und wir müssen auch zugeben, dass es keine direkten Beweise gibt», erklärte er. In der Summe würden aber die Indizien ein klares Bild ergeben.
Beschuldigte werden des Landes verwiesen
Klar war für das Gericht auch, dass beide Beschuldigten beteiligt waren. «Es war eine Arbeitsteilung sondergleichen.» Zugestimmt haben die Richter der Verteidiger in dem Punkt, dass die Beschuldigten nicht sehr überlegt gehandelt hatten, sahen das aber nicht als Nachweis, dass sie nicht die Täter sein können: «Wir haben es nicht mit Leuten zu tun, die raffiniert vorgegangen sind. Aber sie hatten zumindest das Gefühl.»
Die Geschwister aus Italien wurden wegen Brandstiftung und Betrug zu einer Freiheitsstrafe von je 35 Monaten verurteilt, davon müssen sie ein Jahr absitzen, der Rest der Strafe wurde bedingt ausgefällt. Die Schweiz müssen sie danach für sieben Jahre verlassen.