Trotz Wegweisung hielt sich ein Mann am Bahnhof auf – dann pumpte er ausgerechnet einen Polizisten an
Aufgrund einer Wegweisungsverfügung hätte sich Luca (Name geändert) nicht mehr am Bahnhof Brugg aufhalten dürfen. Weil er es trotzdem tat, erhielt er eine Busse von 300 Franken. Bezahlt er diese nicht, muss er eine Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen verbüssen. Zudem hat er die Strafbefehlsgebühr von 400 Franken und die Polizeikosten von 15 Franken zu tragen.
Dagegen erhob der IV-Rentner Einsprache. Bei der Verhandlung am Bezirksgericht Brugg erschien er ohne Anwalt, aber in Begleitung seiner Beiständin.
Wegen der Sucht muss es schnell gehen
«Ich lief herum und wartete auf den Zug», schilderte Luca jenen Dezemberabend, als er von der Polizei beim Avec Express kontrolliert wurde. Dabei sei er alleine gewesen.
Im Polizeirapport stehe aber, es seien mehrere Personen aus der Betäubungsmittelszene angehalten worden, sagte Gerichtspräsident Sandro Rossi. «Ich habe gesehen, wie andere Leute von der Polizei angehalten wurden», präzisierte Luca. Als er weiter gegangen sei, habe er gemerkt, dass jemand hinter ihm sei. «Ich fragte ihn, ob er mir einen Franken hat, da hielt er mir den Polizeiausweis unter die Nase.» Zuvor sei er im HAG gewesen, berichtete Luca. Mit «HAG» ist das Ambulatorium für Substitutionsbehandlung der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG) gemeint.
Er könne doch mit dem Bus anreisen, um den Bahnhof zu umgehen, meinte Sandro Rossi zu Luca. «Das dauert mir zu lange und ist zu kompliziert», so der Beschuldigte, der aktuell ausserhalb der Region Brugg nächtigt. Die Anreise mit dem Bus sei mühsam, er müsse umsteigen und von der Haltestelle zum HAG alles zu Fuss gehen.
«Das Gericht soll den Strafbefehl aufheben», sagte der 56-Jährige. Er habe sowieso kein Geld. Von Rossis Hinweis, dass es auch die Möglichkeit gebe, die Strafe durch gemeinnützige Tätigkeit abzuarbeiten, wollte der Beschuldigte nichts wissen. Schliesslich sei er gesundheitlich und psychisch nicht «zwäg».
Obwohl sich der Gerichtspräsident grosse Mühe gab, seine Fragen möglichst einfach zu formulieren, verstand Luca nicht alles. «Ich bin ganz durcheinander», sagte er leise zur Beiständin, worauf diese ihm aufmunternd zuflüsterte: «Du machst das tipptopp.»
Mit Lucas Einverständnis durfte anschliessend sie dem Gericht Auskunft geben. Luca sei suchtkrank und gehe regelmässig ins HAG, erklärte die Beiständin. «Wenn er sagt: ‹Das ist für mich zu mühsam›, dann meint er den Suchtdruck.» Darum müsse es jeweils schnell gehen, wenn er bei den PDAG Medikamente hole. Zudem habe er grosse gesundheitliche Probleme. «Deshalb ist der Weg mit dem Bus schon sehr viel verlangt.»
Er soll mit Staatsanwaltschaft Kontakt aufnehmen
Wenn er an der Einsprache festhalte und verurteilt werde, müsse er zusätzlich noch die Gerichtsgebühren bezahlen, erklärte der Gerichtspräsident dem Beschuldigten. Worauf dieser «bei euch ist gar nichts gratis» grummelte. «Wenn Sie die Einsprache zurückziehen», fuhr Rossi fort, «verzichten wir auf die Gerichtsgebühren.»
Danach bekam Luca Gelegenheit, sich mit seiner Beiständin zu beraten. Er entschied sich, die Einsprache zurückzuziehen. Sandro Rossi gab ihm noch mit auf den Weg, via Beiständin mit der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach Kontakt aufzunehmen, um die Busse entweder abzustottern oder abzuarbeiten. Der Gerichtspräsident zeigte sich zuversichtlich, dass sich für Luca trotz dessen beeinträchtigter Gesundheit ein passender Job finde. «Niemand wird Sie auf den Bau schicken.»