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«Ich wollte immer alles zurückbezahlen»: Aargauerin veruntreut 30’000 Franken ihrer behinderten Schwester

Hat eine 45-jährige Barbetreiberin ihre Position als Beiständin schamlos ausgenützt, oder war sie in einer Notlage und hätte das Geld später zurückbezahlt? Darüber wurde am Bezirksgericht Kulm verhandelt – der Prozess endete emotional und mit einer aussergewöhnlichen Massnahme bei der Busse.

Es war vor genau zehn Jahren, als eine heute 45-jährige Aargauerin – wir nennen sie Sandra B. – mit ihrer Schwester in Zürich eine Bar eröffnete. Damit nahm das Unheil, das in der Veruntreuung von Vermögen und mehrfacher Urkundenfälschung enden sollte, seinen Lauf.

Denn schnell wird klar, dass die Bar nicht rentiert und die eigenen finanziellen Reserven von Sandra B. und ihrer Schwester sind aufgebraucht. Als es zunehmend schwieriger wurde, die laufenden Kosten der Bar zu decken, entschieden sie, die Bar wieder zu verkaufen, was ihnen jedoch erst vier Jahre später, im Jahr 2018, gelang.

Sandra B. war gleichzeitig Beiständin ihrer anderen Schwester – wir nennen sie Andrea –, welche seit ihrer Geburt an einer cerebralen Parese leidet und kognitiv auf dem Stand eines etwa dreijährigen Kindes ist. Sandra B. kümmerte sich als Vormund und Beiständin nicht nur äusserst liebevoll und fürsorgerisch um ihre behinderte Schwester Andrea, sondern verwaltete auch ihr Vermögen. Und das hatte sie, so die Staatsanwaltschaft, «schamlos ausgenutzt».

Verteidigung: «Sie wollte sich nicht bereichern»

Als ihr die stets laufenden Kosten der Bar – Buchhaltung, Mietzinsen, Reparaturen oder Lieferanten – über den Kopf wuchsen, verwendete Sandra B. das ihr anvertraute Vermögen wissentlich und willentlich unrechtmässig zu ihrem Nutzen, um private Schulden und Schulden im Zusammenhang mit der Bar zu begleichen.

Vor Gericht wies die Beschuldigte darauf hin, dass sie das Geld ihrer Schwester ausschliesslich dafür gebraucht habe, die offenen Rechnungen im Zusammenhang mit der Bar zu begleichen. «Ich sah es als Darlehen an und wollte immer alles zurückbezahlen.» Auch die Verteidigung hielt fest: «Sie wollte sich nicht bereichern und wollte sich damit schon gar nicht eine Handtasche oder andere Luxusgüter kaufen.»

Die Beschuldigte hatte 88 Kontoauszüge gefälscht

Auffällig waren Überträge auf ihr persönliches Konto, und sie tätigte mitunter auch Bargeldbezüge im Ausland. So etwa sticht ein Bezug während einer Reise in Paris heraus, welchen sie damit begründete, die Bankkarten im Portemonnaie verwechselt zu haben, was mit identischem Pincode schnell passiert sei. Und so beläuft sich der Deliktsbetrag letztlich auf die Höhe von 30’310 Franken.

Aus der Not heraus und in der Angst, dass alles auffliegen würde, verfälschte Sandra B., gelernte Büroangestellte, in aufwendiger Arbeit «nächtelang im stillen Kämmerlein» Kontoauszüge. Sie tat dies über sieben Jahre hinweg und änderte insgesamt 88 Kontoauszüge ab. Sie scannte diese ein und veränderte mit einem Bildbearbeitungsprogramm inhaltlich unter anderem die Gut- und Lastschriften sowie den jeweiligen Saldo.

Sie handelte damit in der Absicht, die Revisorin des Familiengerichts Kulm über die wahren Vermögenszuflüsse und -abflüsse ihrer behinderten Schwester zu täuschen, um ihre persönlichen Machenschaften verschleiern zu können. Doch der Fall flog auf, weil Sandra B. ein Fehler unterlief, was die Revisorin stutzig machte.

Busse wird Schwester zugesprochen

Die Beschuldigte war von Anfang an geständig und zeigte laut Gericht «aufrichtige Reue». Sie war in den Befragungen stets freundlich und kooperativ, sah ihren grossen Fehler ein und zeigte sich im Grundsatz gewillt, den finanziellen Schaden wieder gutzumachen, was sich strafmildernd auswirkte und mitunter zu einem abgekürzten Verfahren führte. Nicht zuletzt auch, weil die Grundbedürfnisse ihrer behinderten Schwester, um diese sie sich nach wie vor kümmert, nie gefährdet waren.

Die Beschuldigte Sandra B. wurde zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit einer Probezeit von zwei Jahren, verurteilt. Ausserdem muss sie eine Busse von 4000 Franken bezahlen, welche – etwas ungewöhnlich – dem Opfer, also ihrer Schwester, zugesprochen wird. Sandra B. wird zudem zur Zahlung des entstandenen Schadens von 30’310 Franken verpflichtet, was sie in Form von rund 300 Franken monatlich abzahlen möchte.

In ihrem Schlusswort brach Sandra B. in Tränen aus: «Andrea war nie in Gefahr. Es geht ihr gut, sie wohnt nach wie vor bei uns im Haus. Ich kümmere mich jeden Tag um sie. Ich gehe mit ihr in die Ferien, gehe mit ihr käfele, zum Coiffeur oder unternehme sonst etwas, was ihr Freude bereitet und sie gerne tut. Ich habe mich immer gut um sie gekümmert.»