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Strafantrag zu spät gestellt: Gerichtspräsidentin muss Verfahren wegen sexueller Belästigung einstellen

Ein 34-jähriger Italiener musste sich vor dem Bezirksgericht Kulm unter anderem wegen sexueller Belästigung und Nötigung verantworten. Doch bei vier der dreizehn Anklagepunkte ging der Strafantrag zu spät ein. Das hat Konsequenzen.

In Hand- und Fussfesseln betritt Mauro (alle Namen geändert), begleitet von zwei Kantonspolizisten, den Saal des Kulmer Bezirksgerichts. Der 34-Jährige verbüsst derzeit eine Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Weswegen, bleibt unerwähnt. Es war aber nicht seine erste Verurteilung. Und sollte nicht seine letzte sein.

Nicht weniger als dreizehn Anklagepunkte sind es, die die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm dem gebürtigen Italiener nun vorwirft. Von Betrug über sexuelle Belästigung und Nötigung bis hin zur versuchten einfachen Körperverletzung ist alles dabei, was der Gesetzgeber verboten hat. Sie alle zu erwähnen, würde diesen Rahmen sprengen.

Staatsanwaltschaft fordert «nur» zehn Monate Haft plus Busse

In Anbetracht des langen Deliktkatalogs erscheint die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe – zehn Monate Haft (unbedingt) sowie eine Busse von 600 Franken – fast schon milde. Zumal «der Beschuldigte einschlägig vorbestraft ist und wiederholt rückfällig wurde», wie es in der Anklageschrift heisst.

Schon zu Beginn hält Gerichtspräsidentin Yvonne Thöny fest, dass in vier der Anklagepunkte der Strafantrag zu spät gestellt worden war und daher eine Einstellung in Erwägung gezogen werden müsse. Bei einem Antragsdelikt – zum Beispiel Beleidigung – muss dieser spätestens drei Monate nach der Tat ausgefertigt sein. Dem war in diesen Fällen nicht so, die Delikte hätten somit gar nie zur Anklage gebracht werden dürfen.

So soll Mauro etwa laut Anklageschrift seine damalige Freundin Carmela «zu einem nicht näher eingrenzbaren Zeitpunkt, mutmasslich in der Zeit vom 15. bis 30. November 2019» am Handgelenk gepackt, sie ins Badezimmer gezogen haben und sich dort mit der anderen Hand selbst befriedigt zu haben. Sexuelle Belästigung und Tätlichkeiten, so der Vorwurf.

Der Beschuldigte stand wegen insgesamt dreizehn Anklagepunkten vor dem Kulmer Bezirksgericht.
Pascal Bruhin

Beschuldigter soll Frontalkollision vorgetäuscht haben

Zudem soll er im Dezember 2019, wohl nach der Trennung, auf einer engen Strasse nähe ihres Wohnorts im oberen Wynental mit seinem Auto auf jenes von Carmela, die in die entgegengesetzte Richtung fuhr, zugerast sein und erst im letzten Moment abgebremst haben. Damit soll Mauro seine Ex-Partnerin in Angst versetzt und sie genötigt haben, «an Ort und Stelle auszuharren, bis der Beschuldigte sein waghalsiges Fahrmanöver abgeschlossen hat», um ihr anschliessend im Vorbeifahren noch den Mittelfinger zu zeigen. Vom Vorwurf der Nötigung bezüglich dieser angedrohten Frontalkollision spricht Thöny Mauro frei. Sie hält fest:

«Dass man kurz anhalten muss für ein Kreuzungsmanöver auf einer engen Strasse reicht für den Straftatbestand der Nötigung nicht aus.»

Das Verfahren wegen Beschimpfung muss sie einstellen. Für beide Taten muss sich Mauro also nicht verantworten, ebenso wenig wie für einige sehr unschöne, ehrverletzende Worte, die er über Carmela an eine Freundin derer schrieb. Auch in einem der zwei Betrugsvorwürfe – Mauro soll neue Bergschuhe auf Kosten von Carmela bestellt haben – erfolgt die Einstellung in Folge verspätetem Strafantrag. «Diese Anklageschrift dient definitiv nicht als Musterbeispiel», wird Thöny die Staatsanwaltschaft später noch rügen.

Teilweise erfolgt Freispruch – ins Gefängnis muss er trotzdem

Beim zweiten Betrugsvorwurf, bei dem Mauro ein Bett mit Rechnungs- und Lieferadresse von Carmela bestellt hat, wird er freigesprochen, da Thöny weder einen Vorsatz noch Arglist, die es für eine Verurteilung wegen Betrugs braucht, erkannt hat. Ebenso spricht sie ihn frei des Vorwurfs der Sachbeschädigung in drei von vier Fällen. Mauro soll laut Anklage die Autos von Carmela und ihrer Schwester beschädigt haben. Es gäbe in den drei Fällen keinerlei konkrete Hinweise bezüglich der Täterschaft.

Obwohl Mauro alle Anschuldigungen abgestritten hat, seine Verteidigerin einen vollumfänglichen Freispruch forderte, befindet ihn Gerichtspräsidentin Thöny in allen anderen Fällen der Beschimpfung respektive übler Nachrede, der Sachbeschädigung an einem ausgeliehenen Auto sowie der Drohung, der Beschimpfung und der versuchten einfachen Körperverletzung (Faustschlag) im Zuge der Übergabe dessen schuldig. Ebenfalls schuldig spricht sie ihn der unrechtmässigen Aneignung eines liegengelassenen Geldumschlags an einer Migros-Kasse.

Verurteilt wird Mauro zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten sowie einer Geldstrafe von 65 Tagessätzen à 30 Franken. Für die Beschimpfungen und üble Nachrede im Internet gegen seiner Ex-Freundin und deren Schwester hat Mauro eine Genugtuung von 300 Franken, deren Schwester eine von 100 Franken zu bezahlen. Zudem hat er die Hälfte der Verfahrenskosten von rund 3700 Franken zu begleichen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.