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Eine Lehrerin verlor plötzlich den Grossteil ihres Lohns – nun hat ein staatskritischer Verein 6000 Franken gesammelt

Eine Aargauer Kindergärtnerin arbeitete als Stellvertreterin – und geriet wegen Knieproblemen plötzlich in finanzielle Not. Warum das Lehrernetzwerk Schweiz Spenden sammelte – und wie das in die politische Haltung des Vereins passt.

Ein Happy End ist es noch nicht. Noch immer muss Regula mit weniger als der Hälfte ihres eigentlichen Lohns auskommen. Noch immer schmerzt ihr Knie. Noch immer ist ihre berufliche Aussicht ungewiss.

Dennoch überwiegt bei ihr momentan die Freude. Über 6000 Franken hat sie erhalten. Es sind Spenden von Menschen, die sie gar nicht kennen. Die nur in einem Newsletter von ihrer Situation erfahren haben. «Ich war mega überrascht», sagt Regula, die eigentlich anders heisst. «Damit hätte ich nie gerechnet.» Die Kindergartenlehrerin sitzt am Esstisch ihrer kleinen Wohnung in einer Aargauer Landgemeinde. Wenn sie spricht, dann mit Zuversicht in der Stimme.

Als sie vor rund einem Monat am selben Tisch sass, schwang noch Verzweiflung mit. «Man steht plötzlich einfach da mit Nichts. Mit null Absicherung. Ohne Netz und Boden. Ich weiss nicht, wie lange wir so durchkommen», sagte die alleinerziehende Mutter dreier Kinder im Jugendalter damals. Per Mail hatte sie sich bei der Aargauer Zeitung gemeldet: Die Situation von Stellvertretungslehrpersonen sei im Aargau im Krankheitsfall schnell prekär.

Zwei Verträge, doch nur ein Lohn

Die ausgebildete Kindergartenlehrerin war mit zwei Verträgen an der Schule Suhr angestellt: Einem unbefristeten als Fachlehrerin und einem befristeten als Lehrerin mit Klassenverantwortung, den die Schulleitung jeweils Monat für Monat neu ausstellte. Weil Regula seit November zu hundert Prozent krankgeschrieben ist, erhält sie seither nur noch den Lohn aus ihrem unbefristeten Vertrag.

Den befristeten aber erneuerte ihr die Schulleitung im Dezember nicht mehr. «Eine Lehrperson mit einer nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit (Krankheit und Unfall) kann man nicht anstellen», erklärte die Schulleiterin Angela Boller auf Anfrage.

Dieses Vorgehen ist im Kanton Aargau durchaus üblich. Schulleitungen müssen davon ausgehen, dass die zu vertretende Person zurückkehrt. «Wer sich für eine Anstellung als Stellvertretung zur Verfügung stellt, muss sich bewusst sein, dass er nicht die gleichen Absicherungen in Anspruch nehmen kann wie eine festangestellte Lehrperson», führte eine Sprecherin des Departementes Bildung, Kultur und Sport im damaligen Artikel der AZ aus.

Ein Verein coronaskeptischer Lehrpersonen hilft

Diesen Artikel las auch Jérôme Schwyzer – und empörte sich über Regulas Situation. Der Sekundarschullehrer in Boswil und Präsident des Lehrernetzwerks Schweiz startete Ende Januar in einem Newsletter einen Spendenaufruf. «Wir möchten Menschen wie Regula nicht im Stich lassen», schrieb Schwyzer in der Mail an knapp 6000 Empfängerinnen und Empfänger. Stellvertreterinnen seien für das Funktionieren der Volksschule wesentlich, doch das Arbeitsrecht des Kantons Aargau schütze gerade diese Personen nicht.

Jérôme Schwyzer, Präsident des Lehrernetzwerks Schweiz, wehrte sich gegen die Maskenpflicht an Aargauer Schulen.
Bild: Alex Spichale

Innert drei Wochen konnten Schwyzer und sein Verein so 6000 Franken sammeln. In einem Dankesschreiben des Vereins an seine Mitglieder zeigt sich Regula überglücklich: Sie schaue nun mit mehr Zuversicht in die nahe Zukunft und brüte nicht mehr dauernd über den Behandlungskosten und wie sie den laufenden und den kommenden Monat überstehe. «Ich möchte mich bei euch für eure unglaubliche Solidarität bedanken!»

Der nationale Verein ist ein Kind der Pandemie. Entstanden ist er im Herbst 2021, als sich Vereinspräsident Schwyzer zusammen mit einem Lehrerkollegen gegen die Maskenpflicht an Aargauer Schulen auflehnten. Schwyzer war Beisitzer der SVP Suhr und kandidierte 2020 erfolglos für den Grossen Rat.

Die massnahmekritische Haltung ist weiterhin spürbar. «Warum die neuen WHO-Gesundheitsvorschriften bekämpft werden müssen», lautet der Titel eines aktuellen Beitrags auf der Website. «Alex Hürzelers Unlust, die Pandemie aufzuarbeiten», ein anderer von Ende August. An der Generalversammlung Anfang April treten mit Roger Köppel und Marco Rima zwei Galionsfiguren der Coronaskeptiker-Szene auf.

Der Verein ist gemäss Statuten politisch neutral. Gleichzeitig lesen sich viele Beiträge wie aus dem SVP-Bildungsargumentarium. Man stellt sich gegen «Propaganda-Veranstaltung der Trans- und Queer-Szene», befürchtet einen «Leistungsabbau wegen der integrativen Schule» oder feiert die Ablehnung des Schulbudgets der Kreisschule Aarau-Buchs als «Sieg gegen das Establishment».

Und so passt letztlich auch Regula als Kindergärtnerin, die der Staat im Stich gelassen habe, perfekt ins Bild. Eine Stellvertreterin als Stellvertreterin für den grösseren Kampf des Vereins.