Wie hilft eine Verfassungsinitiative gegen den Lehrpersonenmangel, Kathrin Scholl?
«Wir müssen jetzt etwas tun», sagt Kathrin Scholl. Es ist ein «Jetzt» mit Ausrufezeichen. Die Präsidentin des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ALV) hat die Medien am Mittwochmorgen ins Forum Schlossplatz in Aarau geladen. Sie sieht die Bildung in Gefahr. Durch den Mangel an ausgebildetem Personal und die steigende Belastung der Lehrpersonen. Und: Die Situation werde sich verschärfen, sagt Scholl. Bis 2031 braucht es schweizweit rund 47’000 Lehrpersonen mehr. Doch an den Pädagogischen Hochschulen werden nur 34’000 neue Lehrkräfte ausgebildet.
Der ALV lanciert deshalb eine Verfassungsinitiative. Das Ziel: Die Bildungsqualität wird in der Kantonsverfassung verankert. Konkret wird der bestehende Artikel ausgebaut. Eine Ergänzung verlangt Unterricht von flächendeckend hoher Qualität. In der Verantwortung dafür stehen gemäss dem neuen Verfassungsartikel der Kanton und die Gemeinden. Diese müssten sicherstellen, dass genügend ausgebildete Schulleitungen und Lehrpersonen zur Verfügung stehen. Ein weiterer neuer Artikel zielt gegen den hohen administrativen Aufwand von Lehrpersonen: Ihre Arbeit soll in erster Linie den Schülerinnen und Schülern zugutekommen.
Kathrin Scholl, Sie haben an der Medienkonferenz betont, man müsse jetzt handeln. Eine Verfassungsinitiative bringt aber kaum schnelle konkrete Lösungen. Ist dies nicht ein Widerspruch?
Nein. Denn mögliche Massnahmen liegen ja auf dem Tisch. Wir wollen mit der Initiative die Diskussion um die Bildungsqualität lancieren. Unsere Umfrage hat gezeigt: Der Bevölkerung ist Bildungsqualität wichtig. Mit der Initiative soll sie dies bekräftigen können. Gleichzeitig soll die Politik in die Verantwortung genommen werden, die Massnahmen endlich umzusetzen.
Der Druck auf die Politik soll erhöht werden.
Ja. Und vor allem soll die Bildungsqualität auch längerfristig gesichert werden. Ist diese in der Verfassung verankert, so ist dies ein Grundauftrag, der bestehen bleibt.
Unter Bildungsqualität kann man vieles verstehen. Ist dies nicht zu unkonkret?
Genau deshalb soll in der Verfassung ergänzt werden, dass eine hohe Bildungsqualität auch ausgebildetes Personal verlangt, welches auch seiner Ausbildung entsprechend eingesetzt wird. Derzeit muss eine Lehrerin auch Aufgaben eines Heilpädagogen übernehmen. Oder eine Klassenassistenz plötzlich eine Klasse alleine führen. Dies soll in der Zukunft verhindert werden.
Also keine Notlösungen mehr.
Genau. Und der Bildungsauftrag an sich, das Unterrichten, soll durch die Verfassungsinitiative wieder mehr Gewicht bekommen. Gleichzeitig soll die Gesellschaft nicht weiter Aufgaben wie etwa die Erziehung an die Schule delegieren.
Seit zwei Jahren sucht eine Taskforce nach Lösungen. Hat sie zu wenig gemacht?
Wir haben in dieser Taskforce zielführende und gute Diskussionen geführt. Jetzt müssen die Lösungen einfach in die Umsetzung. Und dort sind wir noch nicht. Mir ist klar: In der Politik mahlen die Mühlen langsam. Und ich bin grundsätzlich ein geduldiger Mensch. Doch ich habe keine Geduld mehr! Ich sehe, wie die Schulen am Anschlag sind. Und unsere Mitglieder haben in unseren Umfragen mehrfach gesagt, dass endlich etwas passieren muss.
Das Problem ist seit langem bekannt. Der Mangel verschärft sich von Jahr zu Jahr. Hat die Politik die Entwicklung verschlafen?
Ja. Die Fakten kennt man seit Jahren. Man hat sie zu wenig ernst genommen.
Die Initiative ist Teil eines Aktionsplans des Dachverbandes. Das Berner Pendant zum ALV präsentiert heute ebenfalls eine Verfassungsinitiative auf Kantonsebene. Ist der Inhalt ähnlich?
Ja. Auch im Kanton Bern ist ein Verfassungsartikel angedacht, der die Bildungsqualität verankern will. Schlussendlich sind wir aber der Meinung: Der Lehrpersonenmangel ist ein schweizweites Problem – mit regionalen Unterschieden. In Bern und im Aargau ist der Mangel sicher zugespitzt.
Es ist Mitte des Schuljahres. Spüren Lehrpersonen jetzt den Personalmangel überhaupt?
Der Mangel ist immer spürbar. Doch jetzt, mit Grippe und Erkältungen, ist er noch akzentuierter. Die Schulleitungen sind primär mit der Rekrutierung von Personal beschäftigt. Weil die Lehrerinnen und Lehrer alles dafür tun, dass die Kinder nicht leiden, merkt die Bevölkerung noch wenig. Wir sind aber jetzt an einem Punkt, an dem dies kippen könnte. Es gibt in anderen Kantonen bereits erste Schulen, in denen keine einzige ausgebildete Person – Lehrerinnen, Heilpädagogen, Schulleiterinnen – als Notlösung eingesetzt wird. Im Aargau sind wir noch nicht so weit, doch es gibt auch hier Schulen, in denen mehrheitlich solche Personen arbeiten.