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Die Schweiz ist Europas Schlusslicht: Warum wir im Naturschutz miserabel abschneiden

Das Parlament streitet darüber, welchen Anteil der Landesfläche die Schweiz für den Artenschutz reservieren soll. Gleichzeitig setzt sich eine Schweizer Delegation an der Welt-Biodiversitätskonferenz in Kanada für ambitioniertere Massnahmen ein – obschon die Ziele im Inland bisher verfehlt wurden.

Seit einer Woche kämpft die Schweizer Delegation an der Weltbiodiversitätskonferenz im kanadischen Montreal dafür, dass «bis 2030 weltweit mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresfläche für die Biodiversität gesichert werden». Dieses Ziel soll bis zum 19. Dezember – dann endet die UNO-Konferenz – in einem bindenden Abkommen festgehalten werden.

Geleitet wird die Schweizer Delegation von Katrin Schneeberger, Direktorin des Bundesamts für Umwelt (Bafu). Schneeberger und mit ihr die Wissenschaft warnen hierzulande schon seit Jahren vor den Gefahren des Biodiversitätsverlusts. Die heutige Situation sei «alarmierend», die Biodiversität in der Schweiz befinde sich «in einem besorgniserregenden Zustand», so das Bafu. Auch Naturschutzorganisationen wie der WWF machen gestützt auf einen Bericht der Europäischen Umweltagentur regelmässig darauf aufmerksam, dass bereits «über ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten bedroht sind und die Schweiz europaweit den niedrigsten Anteil an Schutzgebieten im Verhältnis zur Landesfläche hat».

Schweiz verfehlt das Ziel

Tatsächlich liegt die Schweiz deutlich im Hintertreffen. Eigentlich hat sie sich schon 1992 in Brasilien im Rahmen eines internationalen «Übereinkommens über die biologische Vielfalt» verpflichtet, bis Ende 2020 genau 17 Prozent der Landesfläche zu Gunsten der Biodiversität auszuscheiden. Doch das Ziel wurde verfehlt: Aktuell sind 13,4 Prozent vorrangig für Erhalt und Förderung der Biodiversität ausgewiesen – beispielsweise in Form von Nationalparks, Trockenwiesen oder Biotopen von nationaler Bedeutung.

Zu wenig, finden die Initiantinnen und Initianten der Biodiversitätsinitiative. Hinter dem Volksbegehren stehen diverse Naturschutzverbände, darunter Pro Natura und Birdlife. Sie fordern den Bund auf, mehr Geld und mehr Fläche für die Natur und deren Schutz zur Verfügung zu stellen. So sollen etwa Moore und Feuchtgebiete revitalisiert und die Stickstoff- und Pestizideinträge reduziert werden. Zudem plädieren die Umweltorganisationen unabhängig von der Initiative dafür, die 160 bekanntermassen biodiversitätsschädigenden Subventionen abzuschaffen oder umzugestalten.

Die Forderungen der Initianten gehen dem Bundesrat allerdings zu weit, er befürchtet «erhebliche Zielkonflikte mit der Energie- oder der Landwirtschaftspolitik» und eine zu starke Einschränkung der Kompetenzen von Bund und Kantonen. Da er aber die Anliegen der Initiative «grundsätzlich teilt», hat er einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet, welcher in der Herbstsession vom Nationalrat diskutiert und angepasst wurde.

Nationalrat streicht Flächenziel

Eine Anpassung betrifft die Flächenvorgabe. Der Bundesrat wollte im Gesetz verankern, dass 17 Prozent der Landesfläche für den Schutz der Biodiversität reserviert werden müssen – also genau so viel, wie die Schweiz schon vor 30 Jahren für die Schutzgebiete vorgesehen hat. Im Vergleich zu heute müssten zusätzliche Schutz- und Vernetzungsgebiete in der Grösse des Kantons Luzern ausgeschieden werden.

Der Mehrheit der grossen Kammer – darunter Grüne, SP und Teile der FDP – wollte das Flächenziel allerdings nicht im Gesetz verankern, sondern dem Bund überlassen. Zum Ärger von Mitte-Nationalrat und Bauernpräsident Markus Ritter. Er befürchtet, dass der Bundesrat deutlich mehr als 17 Prozent der Landesfläche unter Schutz stellen will und dass davon auch Ackerland betroffen wäre. «Der Bundesrat hat beschlossen, das 30-Prozent-Ziel zu verfolgen, und vertritt dies bereits auf internationaler Ebene. Die Ausscheidung von 1,2 Millionen Hektaren für die Biodiversität in den Richtplänen würde nicht nur die Kantone und Landeigentümer enorm einschränken, sondern hätte auch massive Einbussen in der landwirtschaftlichen Produktion zur Folge», so der St.Galler Biobauer.

Ritter verteidigt die Bäuerinnen und Bauern vehement: «Schon heute machen wir viel mehr für die Biodiversität, als uns der Bundesrat vorschreibt. Doch das will er nicht berücksichtigen.» Ritter verweist an dieser Stelle darauf, dass derzeit 19 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Biodiversitätsförderfläche bewirtschaftet werde – etwa in Form von Blühstreifen, extensiven Wiesen, Brachen oder Anlagen mit Hochstammbäumen. Vorgeschrieben seien lediglich sieben Prozent. Aus diesen Gründen unterstützt Ritter weder die Initiative noch den Gegenvorschlag. Er sei der Letzte, der gegen Biodiversität sei, «aber das geht einfach wirklich zu weit».

Linke wollen mit Mythen aufräumen

Ganz anders argumentiert Pro-Natura-Präsidentin Ursula Schneider Schüttel. Sie bezeichnet das 17-Prozent-Ziel als «eindeutig unzureichend». Wissenschaftliche Studien würden zeigen, «dass mindestens 30 Prozent notwendig wären, um die Biodiversität und damit unsere Lebensgrundlage zu erhalten», so die SP-Nationalrätin. Dabei gehe es nicht darum, 30 Prozent der Landesfläche unter «absoluten Schutz» zu stellen. Hingegen gelte es, «Schutz- und Nutzungsinteressen besser aufeinander abzustimmen».

Als Mitglied des Initiativkomitees der Biodiversitätsinitiative sei sie an einem «guten Gegenvorschlag» interessiert. Über einen solchen diskutiert nach dem Nationalrat Anfang des Jahres die Umweltkommission des Ständerats. Auch wenn über die Initiative – sofern sie nicht zurückgezogen wird – frühestens 2024 abgestimmt wird, bleibt für Schneider Schüttel klar: «Es ist jetzt höchste Zeit, zu handeln.»