«Man müsste noch viel mehr tun»: Der Artenschwund in der Schweiz schreitet voran – Besserung ist nicht in Sicht
Noch gibt es sie, die Nidwaldner Haarschnecke. An 134 Orten in den Kantonen Uri, Nid- und Obwalden wurde sie bei der letzten umfassenden Zählung gesichtet. Doch der Klimawandel macht ihr zu schaffen, zu viel Hitze erträgt sie nur schlecht. Deswegen wandert sie in immer höher gelegene Regionen. Doch bald wird es ihr auch dort zu heiss. Die ausschliesslich in der Schweiz vorkommende Schnecke ist gefährdet; gemäss international geltendem Gefährdungsstatus ist sie zwar noch nicht vom Aussterben bedroht, gilt allerdings als «verletzlich».
Es ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie Tier- und Pflanzenarten durch den Klimawandel, die Bodenversiegelung oder die intensive Nutzung der Böden unter Druck geraten. Besserung ist nicht in Sicht, wie zwei neue Berichte des Bundesamts für Umwelt (BAFU) zeigen. Über ein Drittel aller Arten ist vom Aussterben bedroht oder stark gefährdet. «Die Berichte zeigen Entwicklungen, die uns Sorge bereiten müssen», sagte BAFU-Direktorin Katrin Schneeberger am Montag vor den Medien. Trotz des Aktionsplans des Bundes habe sich die Situation zuletzt nicht verbessert, sondern in vielen Bereichen gar verschlechtert. Die Resultate der Erhebungen seien «ernüchternd».
Auch die Gewässer leiden
Besonders stark betroffen ist das «stark genutzte» Mittelland. Gerade hier werde die Landschaft immer monotoner, die Artenvielfalt gehe zurück. «Und auch die Gewässer sind beeinträchtigt», wie Vize-Direktorin Franziska Schwarz sagt. Grund dafür sei unter anderem der Einsatz von Düngern und Pestiziden. Zwar habe die Landwirtschaft in den vergangenen Jahren den Anteil der Flächen zugunsten der Biodiversität erhöht. «Doch», so Schwarz, «man müsste noch viel mehr tun – und zwar in allen Bereichen.»
Dieser Meinung ist auch Ursula Schneider Schüttel, SP-Nationalrätin und Präsidentin von Pro Natura. Anlässlich des internationalen Tags der Biodiversität warnte sie auf dem Bundesplatz in Bern vor den Folgen der Biodiversitätskrise: Viele Menschen würden sich noch immer so verhalten, als hätte der Artenschwund keinen Einfluss auf ihr Leben. «Doch wir alle sind darauf angewiesen, dass unsere Pflanzen von Insekten bestäubt oder Bergdörfer durch Wälder vor Lawinen und Erdrutschen geschützt werden», so Schneider Schüttel.
Auch von Seiten der Forschung wird gewarnt: Damit Tiere und Pflanzen in ihren angestammten Lebensräumen überleben können, müssten mindestens 30 Prozent der Landesfläche vorrangig der Biodiversität gewidmet werden. Dieses Ziel verfolgen die Staaten auch auf internationaler Ebene: Im Dezember haben rund 200 Länder – darunter auch die Schweiz – ein Abkommen unterzeichnet, wonach bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden sollen.
Davon ist die Schweiz noch weit entfernt. Aktuell sind 13,4 Prozent der Landesfläche für Erhalt und Förderung der Biodiversität ausgewiesen, beispielsweise in Form von Nationalparks, Trockenwiesen oder Biotopen von nationaler Bedeutung.
Ständerat befindet über Gegenvorschlag
Das Thema beschäftigt auch die Politik. Der Nationalrat hat im vergangenen Herbst dem indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative zugestimmt. Dieser sieht vor, dass die Artenvielfalt in bewohnten Gebieten gestärkt und bereits bestehende Schutzflächen besser miteinander vernetzt werden. Die Umweltkommission des Ständerates hält diesen Vorschlag hingegen für unnötig und will nicht auf den Gegenentwurf eintreten. Um das globale 30-Prozent-Ziel zu erreichen, brauche es keine zusätzlichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Der Rat entscheidet am 8. Juni.