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ETH-Professor: «Bitcoin ist die katholische Kirche in der Kryptowelt – man sperrt sich gegen Reformationen»

Das Kryptosystem Ethereum hat kürzlich auf das stromsparendere Verfahren namens Proof of Stake umgestellt, um die Gültigkeit digitaler Transaktionen zu überprüfen. Bitcoin, die stärkste Kryptowährung, setzt noch immer auf die energiehungrige Methode Proof of Work. Dass ein Umdenken stattfinden wird, bezweifelt der ETH-Professor Roger Wattenhofer.

Nach jahrelangen Ankündigungen hat die Ethereum-Blockchain nun den grünen Wandel hingelegt. Wieso hat es so lange gedauert?

Roger Wattenhofer: Ich nehme an, Ethereum hat enorm viel in die Sicherheit investiert und den Code vor dem Software-Update intensiv geprüft. Wenn nämlich etwas nicht funktioniert hätte, wäre das eine Katastrophe gewesen. An Ethereum hängen hundert Milliarden Franken. Und vielleicht gab es auch intern einige Unstimmigkeiten darüber, wie der Wechsel genau stattfinden soll. Aber grundsätzlich ist die Umstellung von Proof of Work auf Proof of Stake nicht schwierig.

Mit dem Mechanismus Proof of Work versuchen Miner, mithilfe von enormem Rechenaufwand eine komplizierte kryptografische Aufgabe zu lösen. Dies dient dazu, die Korrektheit einer Transaktion nachzuweisen. Die Methode ist enorm energieintensiv. Dies, weil viele Miner sich konkurrieren und jeder als Erstes die Lösung finden will. Denn der Gewinner erhält eine finanzielle Belohnung. Bei Proof of Stake wird per Lotterie entschieden, wer das kryptografische Rätsel in Angriff nehmen darf. Das spart viel Energie.

Zieht Bitcoin nun nach?

Da habe ich so meine Zweifel. Überspitzt würde ich Bitcoin ein wenig als die katholische Kirche in der Kryptowelt bezeichnen. Unter den Minern, die bei Bitcoin viel mehr Macht als bei Ethereum besitzen, gibt es einen grossen Widerstand gegen Reformationen. In der Community gilt Proof of Work als die reine Lehre und die sicherste Art, um Kryptotransaktionen durchzuführen. Proof of Stake erachten viele als zu neu und zu wenig erprobt, was allerdings Quatsch ist. Das Verfahren wird in der Forschung seit Jahren propagiert und untersucht. Letztlich ist es eine Abwägung zwischen Umwelt und Sicherheit.

Geht es bei der Debatte nur um die höhere Sicherheit?

Nein, die Bitcoin-Anhänger sehen bei Proof of Stake auch das Problem, dass die Reichen immer reicher werden. Denn die Lose zum Lösen der Kryptorätsel bei Proof of Stake werden anhand des Kryptovermögens verteilt, die ein Validator besitzt (Validatoren sind die Miner in diesem Verfahren, Anm. d. Redaktion). Das heisst, wenn jemand schon viele «Ether» besitzt, erhält er automatisch mehr Coins für das Verifizieren von Transaktionen. Bei Proof of Work hingegen, argumentieren die Befürworter, hätten alle die gleiche Chance, Vermögen zu vermehren. Ich sehe das etwas anders: Wer nämlich viel Geld hat, kann grosse Mining-Farmen bauen und so durch Proof of Work auch immer reicher werden.


Wie sieht es mit der Verteilung dieser zwei Verfahren in der Kryptowelt aus?

Bitcoin steht nun nach der Umstellung von Ethereum ziemlich allein da unter den Kryptowährungen, die die Sicherheit als das einzig Wichtige erachten und die Umwelt als zweitrangig. Es gibt neben Bitcoin und dessen Kopien wie Dogecoin praktisch keine Kryptowährungen mehr, die auf dem Proof of Work-Verfahren beruhen. Würden auch diese Währungen noch umsteigen, wäre das Kryptoenergieproblem auf einen Schlag praktisch gelöst.

Anfang dieses Jahres erwog das EU-Parlament, Proof of Work stark einzuschränken. Das wurde dann aber verworfen. Bräuchte es aus Ihrer Sicht gesetzliche Verbote?

Erstens denke ich nicht, dass ein Verbot in der EU eine grosse Wirkung entfalten würde. Die grossen Mengen Bitcoins werden an anderen Orten geschürft, weil in Europa der Strom einfach zu teuer ist. Dasselbe würde für ein Verbot in der Schweiz gelten. Zweitens ist es sehr schwierig, eine Missachtung des Verbots nachzuweisen. Wenn grosse Mining-Farmen irgendwo operieren, lässt sich das aufgrund des immensen Stromverbrauchs wohl nachweisen. Aber wenn einzelne Miner fürs Schürfen ihren Rechner zu Hause anwerfen, wird man das kaum nachverfolgen können. Und auch wenn das ginge, dann würden die Miner einfach in andere Länder abwandern, wo Proof of Work noch erlaubt ist.

Dann bleibt Bitcoin auf absehbare Zeit schmutzig?

Dass es ein Umdenken unter den Bitcoin-Minern geben wird, davon gehe ich nicht aus. Denn sie verdienen sehr gutes Geld damit. Meine Hoffnung ist aber, dass Bitcoin bald sozial geächtet wird und enorm an Wert verliert – und irgendwann einmal einfach stirbt. Oder noch besser, dass Bitcoin als virtuelle Währung auf einer Proof of Stake Plattform weiterlebt.