Bonsai: Die grosse Welt der faszinierend kleinen Bäume
Ein Hüne von Mann tritt unter dem Vordach eines Wohnhauses in Zofingen hervor. Typ Schwerarbeiter – so der erste Eindruck. Ein Eindruck, der nicht nur täuscht. Hodel ist gelernter Landschaftsgärtner und hat sich vor einem Jahr als Gartenbauer und Landschaftsgärtner selbständig gemacht. Später wird er erzählen, dass er heute für einen Pflanzentrog insgesamt zwei Tonnen Steine geschleppt hat.
Doch Hodel hat auch eine ganz andere Seite. Diese offenbart sich in seinem Garten. Dort reiht sich Schale an Schale, Baum an Baum. Einfach im Kleinformat. Bonsai nennt man die kleinen Bäume – Zucht und Pflege von Bonsai sind die ganz grosse Leidenschaft des 36-jährigen Gartenbauers, der die Bonsaipflege auch geschäftlich anbietet. Es ist eine uralte fernöstliche Art der Gartenkunst, bei der Bäume und Sträucher zur Wuchsbegrenzung in kleinen Gefässen gezogen und ästhetisch durchgeformt werden.
Ein erster Zufallsfund weckt die Faszination
Erstmals in Kontakt mit einem Bonsai kam Hodel durch einen Zufallsfund. «Ich war etwa 12-jährig», erinnert er sich, «als ich in einer Wildhecke, an der ich häufig vorbeilief, einen Bonsai fand.» Er sei so fasziniert gewesen, dass er ihn mitgenommen habe. Leider sei der Bonsai dann eingegangen. «Mir fehlte damals schlicht und einfach das Wissen, wie man einen Bonsai pflegen muss», sagt er.
Schon ein wenig ernsthafter befasste sich der Zofinger Gartenbauer dann ab Mitte seiner Lehrzeit mit dem Thema. «Als Landschaftsgärtner gräbst du immer irgendwo etwas aus, das du vielleicht einmal verwenden kannst», sagt er und lacht.
Die wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema hat bei Hodel vor 14 Jahren begonnen. Vorwiegend im Selbststudium. Natürlich habe er einmal einen Schnittkurs gemacht, auch einen Drahtkurs und extrem viel gelesen. Und durch seine Lehre als Landschaftsgärtner habe er sowieso ein Grundwissen über Bäume, sagt Hodel. «Aber man muss sich einfach getrauen, etwas auszuprobieren – auf die Gefahr hin, dass ein Bonsai auch einmal eingehen kann», betont er. «Die grosse Kunst besteht ja darin, aus einem Bonsai ein dreidimensionales Bild zu schaffen.»
Das brauche Zeit und Musse sowie ein gutes Vorstellungsvermögen, verlange aber auch Respekt. Der Baum gebe seine Form zu 85 Prozent vor, die restlichen 15 Prozent könne ein Bonsaipfleger beeinflussen. «Denn ein Baum ist, wie er ist», betont Hodel. Wenn zum Beispiel ein Ast fehle, könne man diesen zwar einsetzen, indem man ein feines Loch durch den ganzen Stamm bohren und dort ein neues Ästchen einsetzen würde. Dieses würde zwar anwachsen, aber das passe für ihn nicht, sagt der Bonsaipfleger, «man muss ehrlich bleiben». Überhaupt: Wer sich mit Bonsai auseinandersetze, habe nie ausgelernt. «Da ist lebenslanges Lernen angesagt», sagt Hodel. Er habe das Gefühl, dass er sich als Bonsaipfleger auf einem guten Weg befinde. Einem Weg, auf dem er sein Wissen gerne auch an Interessierte weitergibt. In Form eines Kursangebots, das sowohl Laien als auch Fortgeschrittene anspricht.
Vor zwei Jahren hat Toni Wicki aus Wauwil seinen ersten Bonsai angeschafft, mittlerweile nennt er sechs Bonsai sein eigen. «Ich habe das Gefühl, dass meine Bonsai ‹richtige Besen› geworden sind», sagt der Wauwiler scherzend. Nun brauche er Hilfe. Hodel leitet Wicki an. Die Bonsai müssen umgetopft, das Wurzelwerk ebenso wie die Äste zurückgeschnitten und dann mittels Verdrahtung wieder in die stimmige Form gebracht werden. Eine richtige «Chnübliarbeit», denn der Draht soll weder Knospen noch die frischen Zäpfchen der Lärche beschädigen. «Ich bin froh um das grosse Wissen von Manuel Hodel», sagt Wicki, alleine könnte er diese Arbeiten nicht ausführen.
Lärchen verwendet Hodel übrigens mit Vorliebe in seinen Anfängerkursen. «Weil das Holz der Lärche äusserst biegsam ist», betont er und biegt zur Demonstration gleich ein Ästchen von Wickis Bonsai so weit zurück, dass es den Betrachter fast schmerzt. «Das hätte ich bei einem Bonsai mit härterem Holz so nicht tun können», sagt er.
Hodels Prunkstück: ein 231 Jahre alter Wacholder
Wer sich für Bonsai interessiere, müsse sich bewusst sein, dass dies kein billiges Hobby sei, betont Hodel. «Für einen einfachen Bonsai bezahlt man vielleicht 200 Franken», sagt er, nach oben seien dann die Grenzen offen. Er habe schon gehört, dass ein Topf-Bonsai für 65000 Franken, ein Niwaki (das ist ein Gartenbonsai) sogar für 120000 Franken gehandelt worden sei.
Auch wenn Hodel den Wert eines Bonsai gut einschätzen kann: Es ist nicht das Geld, das ihn bei der Bonsaipflege interessiert. Er zeigt auf seinen ältesten Bonsai, einen wunderschönen Wacholder (Juniperus Sabina) mit verdrehtem Stamm, dessen Mindestalter mittels Laserstrahl-Messung auf 231 Jahre festgelegt werden konnte. «Es ist für mich faszinierend zu wissen, dass man dieses Bäumchen über mindestens sieben Generationen gehegt und gepflegt hat», sagt er mit Ehrfurcht. Und auch seinen ersten Bonsai – eine Linde – würde er um keinen Preis weggeben. «Ein schöner, aber kein perfekter Baum – aber er ist mir ans Herz gewachsen, weil ich ihn von Anfang an gepflegt habe», sagt er. Dann zeigt Hodel auf eine 38 Jahre alte Rotbuche, die er eingetauscht hat, als sie dem vormaligen Besitzer zu gross wurde. «Es ist mir eine Ehre, diesen Baum in zweiter Generation pflegen zu dürfen.» Es sind Äusserungen wie diese, die verdeutlichen, was Hodel abschliessend sagt: «Ohne Bonsai könnte ich nicht mehr leben.» Und entsprechend träumt er davon, dass die geschäftliche Nachfrage nach Bonsaipflege in ferner Zukunft einmal so gross sein wird, dass er sich ausschliesslich seinen geliebten Bäumen widmen kann. Doch auch diesbezüglich verschliesst er die Augen vor der Realität nicht. Vielleicht 80 Prozent aller Leute hätten schon einmal einen Bonsai gesehen oder fänden Bonsai schön, führt er aus. «Aber in unserer schnelllebigen Welt nehmen sich wohl nur wenige Leute die notwendige Zeit und Musse, die man zur Auseinandersetzung mit einem Bonsai braucht.»