Britischer Premier Sunak unter Druck
Auch wenn Rishi Sunak auf dem Parteitag in Manchester unbeirrt in die Kameras lächelt – für seine Partei sieht es in Umfragen derzeit schlecht aus. Vor knapp einem Jahr hat er den Posten des Premierministers übernommen. Doch würden die Briten demnächst wählen – der 43-Jährige wäre den Job wieder los. «Die Geier kreisen schon über Sunak», kommentiert die Zeitung «The Guardian».
Bei seiner Rede an diesem Mittwoch muss er Optimismus verbreiten, obwohl manche schon darüber nachdenken, wie es nach einer Wahlschlappe im kommenden Jahr weitergehen könnte. Medienberichten zufolge könnte Sunak ausgerechnet in Manchester verkünden, eine geplante Schnellbahntrasse in den Norden Englands zu verkürzen.
Das Milliardenprojekt ist deutlich teurer geworden als geplant. Die Verlängerung von Birmingham nach Manchester dürfte nun wegfallen. Von einer «Verzweiflungstat» spricht Andy Burnham, Bürgermeister der Region Manchester und Mitglied der Oppositionspartei Labour. Schwerwiegender für Sunak sind Mahnungen von Andy Street, dem konservativen Bürgermeister der Region West Midlands. Der sagte, die Entscheidung könne dem Ruf des Landes schaden, ein guter Ort für Investitionen zu sein – und drohte indirekt mit Rücktritt.
Liz Truss’ kleines Comeback
Andere werten den Schritt dagegen auch als Zugeständnis an Parteimitglieder, die sich vehement für weniger staatliche Ausgaben einsetzen. «Es ist ja nicht mein Geld – es ist das Geld des Steuerzahlers, und wir sollten bei diesen Dingen die richtigen Entscheidungen treffen», sagte Sunak vorab dem Sender Times Radio.
Sunak war vor knapp einem Jahr in den Regierungssitz in der Londoner Downing Street eingezogen, als erster Hindu in der Geschichte des Landes. Seine Vorgängerin Liz Truss hatte nach nur wenigen Wochen wegen einer verheerenden Wirtschaftspolitik zurücktreten müssen.
Dass nun ausgerechnet Truss auf dem Parteitag eine eigene Wirtschaftsagenda vorstellte, machte Schlagzeilen. Schon eine Stunde vorher standen Menschen vor dem Hotelsaal an. «Für wen ist die Schlange denn? Nicht für Liz, oder?», fragte ein Mann im Vorbeigehen, der lieber an die Bar ging. Truss setzte dann zwischen hellblauen Wänden und Kameras auf den Slogan «Make Britain Grow Again», der Erinnerungen an Donald Trump weckt. Sie plädierte für Steuersenkungen, ohne zu erklären, wie die finanziert werden sollen.
Tories werden Lügen vorgeworfen
Kommentatoren werfen den Konservativen vor, zu lügen und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Für Aufsehen sorgt ein BBC-Interview mit Wissenschaftsministerin Michelle Donelan, in dem Moderatorin Victoria Derbyshire mehrere Unwahrheiten von Spitzenpolitikern aufzeigte. Donelan beharrte: «Wir sind die Partei der Fakten.» Die Ministerin für Energiesicherheit, Claire Coutinho, behauptete, die Labour-Partei wolle Fleisch besteuern. Als Sky-News-Moderatorin Sophy Ridge betonte, dass dies nicht stimme, versuchte die Politikerin verzweifelt, das Thema zu wechseln.
«Die Partei ist alles andere als geeint»Nach Meinung von Politikwissenschaftler Mark Garnett steht die Conservative Party vor mehreren Streitfragen. «Eine beträchtliche Zahl von Tory-Abgeordneten findet, dass ihre Partei die Steuern zu weit nach oben getrieben hat», sagt Garnett von der Lancaster University. Viele seien zufrieden mit Sunaks Ankündigung, dass Neuwagen mit Verbrennermotor doch länger verkauft werden dürfen, bis 2035. «Andere sind entsetzt darüber, dass Grossbritannien von seinem Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, offenbar abzurücken scheint.» Auch der Umgang mit Asylsuchenden sorge für Diskussionen.
Garnett betont: «Die Partei ist alles anderes als geeint, aber das bedeutet nicht, dass Sunaks Position gefährdet ist.» Einige hätten zwar Kampagnen begonnen, um seine Nachfolge anzutreten, aber niemand wolle vor der Wahl übernehmen, die wahrscheinlich verloren werde. Es gebe aber einen Kampf darum, welche Richtung die Partei bis zur Wahl einschlage. «Und Sunak ist offensichtlich bereit, sich ein Stück nach rechts zu bewegen bei einigen Themen.»
Mögliche Nachfolgerinnen stehen weiter rechtsWenn es um eine mögliche Nachfolge Sunaks geht, werden etwa Innenministerin Suella Braverman und Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch Ambitionen zugeschrieben. Die Hardlinerin Braverman will alle irregulären Migranten ins ostafrikanische Ruanda abschieben, unabhängig von persönlichen Umständen oder Herkunftsland. In ihrer Parteitagsrede kritisierte sie den britischen «Human Rights Act», der Menschenrechte festschreibt, als «Criminal Rights Act», und warnte, ein «Hurrikan» von «Millionen» Migranten werde bald über das Land hinwegfegen.
Politikforscher Simon Usherwood von der Open University hält es für wahrscheinlich, dass sich die Partei weiter nach rechts bewegt, wenn die Wahl verlorengeht. Während der Brexit-Jahre seien viele moderate Kandidaten verdrängt worden. Der Politikwissenschaftler Anand Menon vom King’s College London hingegen betonte, die künftige Richtung hänge auch daran, welche Abgeordnete es ins Parlament schaffen. Das Wählerpotenzial weiter rechts sei begrenzt.
Die Briten wählen voraussichtlich 2024 ein neues Parlament – die oppositionelle Labour-Partei liegt derzeit in Umfragen etwa 20 Prozentpunkte vorne. Wie sich die Partei inhaltlich aufstellen will, dürfte auch von Sonntag an verhandelt werden. Dann beginnt die Parteikonferenz von Labour in Liverpool. Der Parteichef heisst Keir Starmer. Dessen Namen kann man sich schon mal merken. (dpa)