75 Prozent mehr Teilnehmer: Trauerangebote des Hospiz Aargau sind gefragter denn je
Die «Betten-Ampel» des Hospiz Aargau steht auf Rot. Alle zehn Einzelzimmer der stationären Abteilung sind am Mittwoch besetzt. Hier werden Menschen aufgenommen, die an einer fortschreitenden, nicht mehr heilbaren Erkrankung leiden und deren Lebenszeit bald zu Ende geht. Gemäss Dieter Hermann lag die Bettenbelegung 2023 bei über 96 Prozent. Höher war sie in den letzten fünf Jahren nur 2018 (98,3 Prozent). Der Geschäftsführer ergänzt, dass das Hospiz damals aber ein Zimmer weniger betrieben hatte. Einen Höchstwert gab es 2023 auch bei der Pflegeauslastung (88,5 Prozent): 3230 Pflegetage wurden geleistet.
Der Bedarf an hochspezialisierter, ganzheitlicher Betreuung am Lebensende sei gegeben und steigend, erklärt Dieter Hermann dazu. Dies aus unterschiedlichen Gründen: «Zum einen ist das einzigartige Angebot im Kanton immer bekannter, daneben kommt es durch die medizinisch-pflegerische Kompetenz zu einer frühzeitigen Verlegung aus Spitälern, da auf Augenhöhe verschoben werden kann.»
Weiter sei die soziale Entwicklung ein Trend: «Denn Sterben ist ein kollektiver Prozess und viele Menschen sind am Ende entweder alleine oder haben kein tragendes, hier pflegendes und begleitendes Umfeld für eine 24/7-Abdeckung.»
Insgesamt wurden vergangenes Jahr 111 Personen stationär in der Brugger Einrichtung begleitet. Vier Personen konnten nach Hause oder in eine Pflegeinstitution übertreten, weil sie sich stabilisiert hatten. Die Anzahl Todesfälle sei wieder etwas weniger als 2022, so Hermann. Den damaligen Höchststand von 124 könne man sich nicht erklären, einen Zusammenhang mit der Pandemie sieht der Geschäftsführer nicht.
Betriebsjahr schliesst mit leichtem Plus
Neben der stationären Abteilung bilden der ambulante Bereich sowie der Trauertreff das Hospiz Aargau. In allen drei Tätigkeitszweigen unterstützen Freiwillige: Über 10’782 Stunden wurden dabei letztes Jahr geleistet, mehr als 100 Ehrenamtliche engagierten sich.
Dieter Hermann fügt an: «Sie ergänzen das angestellte Mitarbeiterteam von 30 Fachpersonen im Rahmen der gelebten Multiprofessionalität sinnvoll oder wirken als tragende Säulen in der Trauerarbeit und im ambulanten Entlastungsbereich mit.» In letzterem habe das Hospiz seine Gründerin Luise Thut im häuslichen Umfeld eng bis zu ihrem Tod Mitte 2023 begleitet.
Gefragter denn je waren 2023 die sechs Trauerangebote: 104 Treffen wurden veranstaltet und 557 Teilnehmende begrüsst. «Das sind fast 75 Prozent mehr Personen als im Vorjahr, wo wir schon ein neues Maximum erreichten.» Zu den Ursachen dieser «Explosion» kann Hermann nur vermuten. Einerseits schienen sich die Angebote immer mehr zu etablieren, andererseits sei der Markt wohl relativ ausgedünnt. «Woran es liegt, werden wir erst herausfinden, wenn der Trend anhält.»
Positives kann der Hospiz-Geschäftsführer bezüglich der Spendeneinnahmen berichten. Knapp 700’000 Franken jährlich sind nötig, dass die Institution ihr Überleben sichern kann. 2022 war diese finanzielle Unterstützung rückläufig. Im Blick auf das letzte Jahr sagt Hermann: «Da das Spendenwesen nicht fix kalkuliert werden kann und wir nicht wussten, ob die reduzierte Spendenfreudigkeit einem Trend folgt, haben wir sehr auf unsere Ausgaben geachtet und hier achtsam agiert.»
Durch die hohe Auslastung generierte das Hospiz höhere betriebliche Einnahmen, was dem Gesamtergebnis gutgetan habe. Zudem erholte sich das Spendenwesen wieder. «Wir werden wohl mit einem leichten Plus das Betriebsjahr abschliessen.»
Zwölf Betten und 1000 Quadratmeter Nutzfläche
Beschäftigt hat das Hospiz 2023 die Suche nach einem zweiten Standort. Die Bestrebungen seien weiter intensiviert worden, so Hermann. Nach wie vor ist ein Objekt mit 800 bis 1000 Quadratmetern Nutzfläche und Kapazität für zehn bis zwölf Betten vorgesehen, angepeilt werden die oberen Rahmenwerte. Das Budget liegt bei drei bis vier Millionen Franken.
Der Geschäftsführer ergänzt: «Offen sind wir in der Umsetzung, es geht von einem bestehenden Objekt bis zum Neubau auf grüner Fläche.» Fix ist dafür das Gebiet für die Suche: Angedacht ist ein Standort im Südwest-Aargau, Grossraum Zofingen/Schöftland. «Aktuell ist ein Objekt in dieser Region in näherer Beurteilung, aber es ist nicht spruchreif», verrät Hermann.
Daneben habe die Brugger Institution – aufgrund des neuen Datenschutzgesetzes – eine eigene, zukunftsorientierte IT und Telefonie aufgebaut. Das gesamte Team und die Freiwilligenbereiche erhielten diverse Schulungen und Weiterbildungen, sodass die Fachlichkeiten bei der Begleitung von Betroffenen und deren Angehörigen gestärkt seien. Zudem wurde das stationäre Hospiz erfolgreich nach dem Qualitätszertifikat «Gütesiegel Hospize Schweiz» zwischenauditiert.