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Helvetas sucht Hilfe: Damit die Entwicklungszusammenarbeit nicht zur Sparmassnahme wird

2 Milliarden Franken will der Ständerat bei der internationalen Zusammenarbeit kürzen, zugunsten der Armee. Die Schweizer Hilfsorganisation erklärt die Folgen dieses Sparvorschlags.

Noch immer kann Matthias Herr nicht fassen, was sich Anfang Juni im Ständerat abgespielt hat. Er ist Teamleiter der Abteilung Osteuropa bei der Helvetas, einer Schweizer Nichtregierungsorganisation für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Er ist auf Kurzbesuch in der Schweiz. Von hier fliessen jährlich 21 Millionen Franken in seine Abteilung. Das könnte sich bald ändern.

Der Ständerat hatte entschieden, bei der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) in den kommenden vier Jahren 2 Milliarden Franken zu sparen. Das Geld soll stattdessen die Armee bekommen. Lieber aufrüsten, statt Entwicklungszusammenarbeit leisten, war das Credo.

Von der Sparmassnahme betroffen wären möglicherweise Länder wie Serbien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo oder Albanien. Die Entwicklungszusammenarbeit würde in 6 bis 8 von 34 Schwerpunktländern eingestellt. Dies berichtete die «Sonntagszeitung». Sie stützt sich auf Angaben aus dem Aussendepartement EDA.

Die Kritik: Ineffizienz und Imagepflege

«Das ist unglaublich kurzsichtig gedacht», sagt Herr. «Diese Länder liegen vor unserer Haustür.» Da müsse es im Interesse des Landes sein, den Frieden in der Region zu stärken, bevor es zu einer Situation komme, in der über Waffenlieferungen diskutiert werden müsse.

Helvetas fokussiert in Osteuropa zum einen darauf, die Wirtschaft anzukurbeln und die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Zum andern sollen die Verwaltungs- und Regierungsführung sowie die Zivilgesellschaft gestärkt werden etwa durch Förderung öffentlicher Dienstleistungen oder die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Prozessen. Allein letztes Jahr habe Helvetas so über 725’000 Menschen in den Ländern des Westbalkan und in Osteuropa erreicht, sagt Herr.

In Albanien läuft derzeit beispielsweise ein Projekt, das jungen Menschen bei ihrer Wahl für einen zukunftsträchtigen Beruf hilft und sie in den Arbeitsmarkt integriert «wie die Berufsberatung in der Schweiz», sagt Herr. Ein ähnliches Projekt führt die Organisation im Kosovo durch – ebenfalls mit dem Ziel, Perspektiven vor Ort zu schaffen. Beide sind finanziert durch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Über die Laufzeit von vier Jahren kosten diese zusammen 11,9 Millionen Franken.

Nebst Albanien und Kosovo ist Helvetas in Osteuropa auch in Bosnien und Herzegowina, Serbien und Nordmazedonien sowie in Moldawien, Georgien und der Ukraine tätig. Sie setzt vierzehn Aufträge des Bundes um und erhält 2024 dafür 12 Millionen Franken.

Aussichten schaffen für weniger Auswanderung

Dass die Schweiz im Ausland wertvolle und wichtige Arbeit leiste, bezweifele er nicht, sagte FDP-Ständerat Benjamin Mühlemann, als er den Sparvorschlag einbrachte. Doch darauf folgte die gängige Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit – sie sei ineffizient, es gäbe keine konkreten Resultate und sie sei reine Imagepflege. Bei Ländern wie Serbien, Albanien oder Nordmazedonien handelt es sich zudem um EU-Beitrittskandidaten. So ist die Helvetas auch mit der Frage konfrontiert, wie lange solche Länder Hilfsgelder erhalten sollten.

Herr sagt, es sei der falsche Zeitpunkt, sich aus der Region zurückzuziehen. Seit zwanzig Jahren setze sich Helvetas in diesen Ländern ein. «Über diese Zeit konnte die Schweiz viel zur Stabilität der Region beitragen.» Die geopolitische Situation in der Region sei komplex und autoritäre Tendenzen, beeinflusst durch China und Russland, nähmen derzeit zu. Das Argument der Ineffizienz lässt er nicht gelten. Die Projekte würden regelmässig extern evaluiert und genau auf ihre Wirkung geprüft, sagt Herr.

Weder wirtschaftlicher noch demokratischer Fortschritt sei allein durch Entwicklungszusammenarbeit steuerbar, gesteht er, doch: «Es ist in Zahlen zwar schwierig nachzuweisen, wie Migrationsströme abnehmen, wenn die Zukunftsaussichten in den Heimatländern besser sind. Doch klar ist: Die Anreize, auszuwandern, schwinden.» Der Ukrainekrieg zeige, wie fragil Frieden in der Region sei und was passiere, wenn Krieg ausbricht.

Ein heisses Eisen für die Herbstsession

Im September debattiert der Nationalrat über den Sparvorschlag des Ständerats. Die Haltung der SVP ist klar. So erklärt Franz Grüter (SVP/LU): «Ich halte diesen Vorschlag für richtig und ausgewogen». Er ist sich sicher, dass die SVP den Vorschlag geschlossen unterstützen werde. Für Grüter sind gegenseitige Wirtschaftsbeziehungen das beste Mittel für Entwicklung; Hilfsgelder hingegen nutz- und wirkungslos.

Anders sieht das die SP. «Vom Kürzungsvorschlag von Herrn Mühlemann halte ich gar nichts», sagt Cedric Wermuth (SP/AG). Spare man bei der Entwicklungszusammenarbeit, werde bei jenen gespart, die sich am schlechtesten wehren könnten. Zudem könne die Armee nicht mal benennen, wofür sie zusätzliches Geld genau brauche. Der SP-Nationalrat fürchtet: «Die Wahrscheinlichkeit, dass der Nationalrat bei der IZA sparen wird, ist gross.» Dass aber gleich 2 Milliarden gekürzt werden, schätzt er als unrealistisch ein.

Entscheidend wird im Nationalrat sein, wie sich die Mitte-Fraktion positioniert. Ihre Nationalrätinnen winden sich um eine klare Antwort. Nicole Barandun (Mitte/ZH) sagt: «Die Partei hat noch keinen Beschluss gefasst.» Im August wird die Sicherheitskommission die Armeebotschaft – damit auch den Entscheid des Ständerats – nochmals beraten. «Dass bei der IZA so stark gekürzt wird, dürfte in der Mitte kaum Chancen haben», sagt Barandun. Ähnlich sieht das Parteikollegin Yvonne Bürgin (Mitte/ZH). Sie sieht bei der humanitären Hilfe kein Sparpotenzial, die Wirtschaftshilfe hingegen – auch Teil der IZA – gelte es, genauer zu betrachten.