Bundesgericht hebt Aargauer Entscheid auf: Kosovarin darf in der Schweiz bleiben, obwohl sie kein Deutsch lernen will
Blerina (Name geändert) heiratete im Juni 2015 einen Kosovaren, der eine Niederlassungsbewilligung für die Schweiz hat. Die damals 24-jährige Kosovarin kam im Rahmen des Familiennachzugs im Dezember 2015 in den Aargau. Kurz darauf wurde sie vom kantonalen Migrationsamt zu einem persönlichen Gespräch eingeladen – dort wurde ihr mitgeteilt, dass es sehr wichtig sei, Deutsch zu lernen.
Die junge Kosovarin sicherte mit ihrer Unterschrift zu, dass sie einen Nachweis über Deutschkenntnisse des Niveaus A1 einreichen werde. Drei Tage später erhielt Blerina vom kantonalen Migrationsamt eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz. Den versprochenen Nachweis über ihre Deutschkenntnisse blieb sie aber schuldig, wie aus einem aktuellen Bundesgerichtsurteil hervorgeht, das kürzlich publiziert wurde.
Kosovarin hielt Integrationsvereinbarung mit Migrationsamt nicht ein
Das kantonale Migrationsamt schloss mit Blerina daraufhin eine Integrationsvereinbarung ab, in der sich die Kosovarin erneut verpflichtete, den Sprachnachweis einzureichen. Doch sie kam dieser Pflicht auch zwei Jahre nach ihrer Einreise nicht nach – und das Migrationsamt reagierte. Es verlängerte im Dezember 2017 die Aufenthaltsbewilligung für Blerina zwar nochmals bis Ende Juni 2018, knüpfte eine weitere Verlängerung aber an die Bedingung, dass der Deutsch-Nachweis bis dann vorliegen müsse.
Doch auch diese Frist verstrich, ohne dass die Kosovarin das verlangte Dokument einreichte. Im Oktober 2019 entschied das Migrationsamt deshalb, die Aufenthaltsbewilligung von Blerina nicht zu verlängern. Das Amt wies die Frau aus der Schweiz weg und setzte eine Ausreisefrist von 60 Tagen an – beginnend mit der Rechtskraft dieses Entscheides. Die Kosovarin akzeptierte die Wegweisung jedoch nicht und reichte beim Migrationsamt dagegen Einsprache ein.
Verwaltungsgericht heisst Wegweisung gut, Bundesgericht kippt Entscheid
Während des laufenden Einspracheverfahrens gab ihr das Amt erneut die Möglichkeit, den Sprachnachweis einzureichen. Doch auch diese Gelegenheit liess Blerina verstreichen und Anfang Mai 2020, rund viereinhalb Jahre nach ihrer Einreise, wies das Migrationsamt ihre Einsprache ab. Auch eine Beschwerde ans kantonale Obergericht änderte nichts daran, die höchste Aargauer Instanz bestätigte die Wegweisung in einem Urteil vom November 2020.
Dagegen wehrte sich Blerina mit einer Beschwerde beim Bundesgericht – und erhielt Recht. Die höchsten Schweizer Richter urteilten im Sinn der Kosovarin und wiesen das Migrationsamt an, die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. Das Bundesgericht hält fest, die Frau habe keinen Nachweis über ihre Deutschkenntnisse eingereicht, dennoch wäre ein Entzug der Aufenthaltsbewilligung «unverhältnismässig». Dies vor dem Hintergrund, dass Blerina heute mit ihrem Mann und dem gemeinsamen vierjährigen Sohn im Aargau lebe und eine Wegweisung zu «einer Trennung der Familiengemeinschaft» führen könnte.
Unkooperativ, nicht integriert
Das Bundesgericht sieht bei Blerina eine «unkooperative Haltung», die sich über Jahre hingezogen habe und schreibt:
«Dass sie auch angesichts der akut drohenden Wegweisung keine Anstrengungen unternahm, sich die deutsche Sprache auch nur in den Grundzügen anzueignen, zeigt ein gewisses Desinteresse, sich in die hiesigen Verhältnisse einzufügen.»
Die Kosovarin sei insgesamt «weder in sprachlicher, noch in sozialer oder kultureller Hinsicht in die schweizerischen Verhältnisse integriert», hält das Bundesgericht weiter fest. Weil sie kein Deutsch spricht, habe ihr Mann sie zum Beispiel zu einem Arzttermin begleiten müssen. Vor diesem Hintergrund bestehe ein «nicht ungewichtiges öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung» von Blerina in der Schweiz, heisst es im Urteil.
Für sie wäre es laut Bundesgericht auch zumutbar, in den Kosovo zurückzukehren und dort zu leben. Sie spreche Albanisch, lebe erst seit sechs Jahren in der Schweiz und hätte in ihrem Heimatland «intakte Wiedereingliederungschancen», heisst es im Urteil. Zudem komme ohnehin der Ehemann für die Familie auf, deshalb würde eine Wegweisung an ihrer wirtschaftlichen Situation nichts ändern.
Rückkehr für Ehemann schwierig – Sohn müsste ohne Elternteil aufwachsen
Für den Ehemann von Blerina, der seit 2004 in der Schweiz lebt und seit zehn Jahren beim gleichen Arbeitgeber angestellt ist, sieht dies allerdings anders aus. Für ihn wäre «ein Verlassen der Schweiz mit erheblichen beruflichen Schwierigkeiten verbunden», hält das Bundesgericht fest, zudem hätte diese empfindliche Auswirkungen auf sein Privatleben. Eine Rückkehr in den Kosovo könne dem Mann deshalb nicht ohne Weiteres zugemutet werden, schreibt das Bundesgericht.
Es wäre ernsthaft damit zu rechnen, dass der Mann seiner Frau nicht in den Kosovo folgen würde – was wiederum negative Folgen für den gemeinsamen Sohn hätte. Dieser müsste entweder mit seiner Mutter in deren Heimatland zurückkehren oder beim Vater bleiben. «Der heute vierjährige Bub würde damit auf Dauer getrennt von einem seiner beiden Elternteile aufwachsen», heisst es im Urteil.
Noch keine Wegweisung, aber eine ausländerrechtliche Verwarnung
Deshalb bestehe ein relativ grosses privates Interesse von Blerina an einem Verbleib in der Schweiz – das Bundesgericht kommt bei der Abwägung zum Schluss, dass das öffentliche Interesse an einer Wegweisung dieses noch nicht überwiege. Die Frau müsse nun aber «in aller Form» darauf hingewiesen werden, dass sie sofort verstärkte Integrationsbemühungen zu unternehmen habe.
Als Massnahme sei vorerst jedoch nur eine formelle ausländerrechtliche Verwarnung und keine Wegweisung angezeigt. Eine Beendigung des Aufenthalts könne in diesem Fall erst in Betracht gezogen werden, «wenn die betreffende Person vorgängig formell verwarnt und auf die Folgen ihrer Verweigerungshaltung hingewiesen worden ist», hält das Bundesgericht fest.
Urteil 2C_1030/2020