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Schweiz «reserviert» Geld für den Wiederaufbau der Ukraine – Hilfsorganisation fürchten Kahlschlag in anderen Ländern

Nach zahlreichen Versprechen nennt der Bundesrat erstmals Zahlen: In den nächsten vier Jahren sollen 650 Millionen Franken für den Wiederaufbau der Ukraine zur Seite gelegt werden. Das wird aber bei weitem nicht reichen.

Während sich das Parlament um eine mögliche Weitergabe von Schweizer Kriegsmaterial in Richtung Ukraine zankt, denkt der Bundesrat bereits an den Wiederaufbau des Landes. Oder genauer gesagt: Wie er diesen finanzieren will. Am Freitag hat die Regierung die Eckwerte der Finanzbeschlüsse für die kommende Legislatur verabschiedet. Darin enthalten sind rund 650 Millionen Franken, die sie für den Wiederaufbau des kriegsversehrten Landes «reservieren» will.

Diese Summe entspricht dem Wachstum der Ausgaben im Bereich der Internationalen Zusammenarbeit für den Zeitraum von vier Jahren. Etwas klarer ausgedrückt: Alle zusätzlichen Aufwendungen, welche die Schweiz in diesem Bereich bis 2028 leisten wird, sollen an die Ukraine gehen. Der Bundesrat nennt das in seiner Mitteilung «Priorisierung». Das Wachstum in diesem Bereich veranschlagt die Regierung auf nominal 2,5 Prozent.

Wiederaufbau kostet Hunderte Milliarden

Zu Luftsprüngen dürfte die nun genannte Summe weder in Kiew noch sonst wo führen: Sie ist schlicht zu gering. Die Weltbank rechnet mit Wiederaufbaukosten für die Ukraine von mehreren hundert Milliarden Franken. Das ist auch dem Bundesrat bewusst. Er schreibt, dass die Kosten, die die Schweiz mittrage, «nicht vollumfänglich» auf dem Budget für internationale Zusammenarbeit erfolgen könne. Wie und wo er das zusätzliche Geld dereinst hernehmen will, sagt Bundesbern jedoch nicht.

«So schrecklich der Krieg in der Ukraine ist, es gibt noch mehr Kriege und Konflikte auf der Welt», sagte Bundesrat Ignazio Cassis kürzlich im Interview mit CH Media. Dabei ging es um die Frage, ob die Schweiz nicht einfach mehr Geld aus dem Topf für internationale Zusammenarbeit abziehen könnte für die Ukraine. Der Aussenminister warnte davor, dass dieses Manöver zugunsten des Wiederaufbaus andernorts zu einem Abbau führen würden: «Ziehen wir uns aus Regionen und Ländern zurück, wo unsere Unterstützung nötig ist und sehr geschätzt wird, würde das nicht verstanden.»

Nur: Genau das fürchten Hilfsorganisationen nun auch mit dem Vorhaben des Bundesrats, sämtliches Ausgabenwachstum in den Wiederaufbau der Ukraine zu stecken. Gleichzeitig deckelt der Bundesrat nämlich die Maximalausgaben auf 10,6 Milliarden Franken für die kommende Legislatur. Gerade im gegenwärtigen «Inflationsumfeld» könne es so zu einer «dramatischen Reduktion» der Hilfe im Ausland kommen, warnt Alliance Sud in einer Mitteilung vom Freitag.

«Jegliche Kürzung wäre verheerend»

Sie wollen dabei nicht das Leid in der Ukraine mit dem Leid anderswo abwägen, sondern fordern «ein Aufrüsten der Solidarität». Die Schweiz sei auf eine «stabile und sichere Welt angewiesen». Wenn sich westliche Staaten aus «fragilen Ländern» zurückziehen würden, könnten dort «Terrorismus, Gewalt und politische Instabilität» gedeihen, warnt die Schweizer Nichtregierungsorganisation mit Fokus Internationale Zusammenarbeit. «Jegliche Kürzungen der Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit wären in der aktuellen geopolitischen Lage verheerend, mit ungeahnten Folgen für die Schweiz», lässt sich Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud zitieren.

Offenbar anderer Meinung ist man im Bundesrat. «Wir müssen auch an die Bundesfinanzen denken», hatte Ignazio Cassis im bereits erwähnten Interview gesagt. Und die «finanzielle Lage bleibt angespannt», schreibt der Bundesrat am Freitag dann auch gleich selbst. Vor allem mit den steigenden Kosten für die soziale Wohlfahrt und den Armeeausgaben, die in den kommenden Jahren um gut 5 Prozent pro Jahr wachsen sollen, komme der Bundeshaushalt «an seine Grenzen».

Bei den beschlossenen Zielwachstumsraten für die mehrjährigen Finanzbeschlüsse handelt es sich um Obergrenzen. «Ob sie tatsächlich ausgeschöpft werden können, hängt von der weiteren Entwicklung des Bundeshaushaltes ab», schreibt der Bundesrat. Rund ein Viertel aller Bundesausgaben werde über solche Finanzbeschlüsse gesteuert. Am Ende entscheidet darüber noch das Parlament.