Simonetta Sommaruga, die rote Fürsprecherin grüner Politik: Ihre Erfolge – und die grösste Pleite
Zum Abschluss gab es nochmals eine typische Sommaruga-Antwort. Welche Tipps sie ihrem Nachfolger auf den Weg gebe, fragt ein Journalist die abtretende Bundesrätin Simonetta Sommaruga an ihrer letzten Medienkonferenz. Sie informiert zuerst sachlich darüber, an welchem Datum die Schlüsselübergabe stattfindet. Dann sagt sie: «Es ist nicht mein Stil, dass ich öffentlich Ratschläge gebe. Aber ich werde mich gern mit meinem Nachfolger über Diverses unterhalten.»
Am Freitag übergibt sie den Schlüssel an Albert Rösti. Das grosse Umwelt-, Verkehrs- und Energiedepartement (Uvek) wechselt von der SP- in die SVP-Hand. Wobei die SP-Hand zumindest einen grünen Daumen hat: Sommaruga räumte der Umwelt- und Klimapolitik einen hohen Stellenwert ein. Und sie sagte und machte einiges, was wohl auch eine Politikerin der Grünen gemacht hätte.
Als Bundespräsidentin eröffnete sie das Weltwirtschaftsforum WEF 2020 mit den Worten: «The world is on fire!» (die Welt steht in Flammen), und rief eindringlich zum Handeln gegen den Klimawandel auf. 2019 lief sie an einer Klimademo in Bern mit. Für den Staatsbesuch in Wien reiste sie mit dem Nachtzug an, für die Bundesratssitzung in Müstair mit dem Postauto statt mit dem Militärhelikopter.
Das war zum Teil gekonnte Inszenierung (ein Foto davon auf Twitter oder Instagram durfte nicht fehlen). Aber auch ihr Handeln zeigt ihre zutiefst ökologische Überzeugung auf. «Die grüne Bundesrätin», titelte die «NZZ am Sonntag» 2019, und zitierte den früheren GLP-Chef Martin Bäumle: «Grün würde ich sie nicht nennen, dafür ist sie zu pragmatisch. Aber sie ist eine Öko-Bundesrätin.»
Das Ziel: Mehr Solar und Wasserkraft, weniger Öl und Gas
Als Sommaruga 2019 das Uvek von der beliebten Doris Leuthard (CVP) übernimmt, da ist sie schon acht Jahre lang Bundesrätin. Im Justiz- und Polizeidepartement hat sie eine grosse Asylreform durchgebracht. Sie modernisiert Sorge-, Unterhalts- und Erbrecht, setzt eine Soft-Geschlechterquote in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen durch. Vor allem aber muss sie sich um die Flüchtlingskrise kümmern, mehrere SVP-Initiativen abwehren und in der Asylpolitik von links wie rechts Kritik einstecken.
Mit dem Wechsel ins Uvek blüht Sommaruga richtig auf. Sie kehre damit zu ihren politischen Wurzeln zurück, sagt sie damals nach der Departementsverteilung sichtlich erfreut. Ihr Ziel ist klar: Die erneuerbaren Energien sollen kräftig ausgebaut, die Abhängigkeit von Öl und Gas – und damit vom Ausland – verringert werden. Sommaruga will die Energiewende vorantreiben, die Schweiz ökologischer machen.
Kurz nach ihrem Wechsel ins Uvek erhält sie vom Bundesrat grünes Licht, eine Vorlage zur Stärkung der einheimischen Energien auszuarbeiten. Auf Sommarugas Antrag hin beschliesst die Regierung auch, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein soll. Das Momentum ist zu dieser Zeit auf Sommarugas Seite: Die Klimajugend geht auf die Strasse, die Grünen legen 2019 stark zu.
Der grosse Rückschlag kommt im Sommer 2021. Das Stimmvolk lehnt das CO2-Gesetz ab, mit dem Bundesrat und Parlament den CO2-Ausstoss der Schweiz weiter senken wollten. Das Volks-Nein wirft die Klimapolitik zurück. Sommaruga nimmt einen zweiten Anlauf: Sie bringt ein neues CO2-Gesetz auf den Weg, diesmal ohne neue Abgaben.
Vergangenes Jahr schafft sie es mit einem Runden Tisch zur Wasserkraft, dass sich Umweltorganisationen, Energiebranche und Kantone auf 15 Projekte verständigen – ein Erfolg für Sommaruga.
Vieles noch nicht unter Dach und Fach
Wie zufrieden sind jene Parteien mit Sommarugas Schaffen im Uvek, die «grün» im Namen führen und der Klimapolitik höchste Priorität beimessen? Der Grüne-Nationalrat Bastien Girod sagt: «Sie hatte die Kompetenz und den Willen, die Klima- und Umweltpolitik voranzutreiben. Leider konnte sie sich zu wenig durchsetzen im Parlament und im Bundesrat.»
Hinzukomme, dass sie vieles angestossen habe, das noch nicht abgeschlossen sei. Nun wird sich mit Albert Rösti ein SVP-Politiker drum kümmern. Girod sagt: «Leider hat es im Bundesrat nun niemanden mehr, der Rösti auf die Finger schaut.» Mit dem Rücktritt von Sommaruga verlören die grünen Anliegen ihre Fürsprecherin – auch wenn sie klar eine SP-Politikerin sei. «Eine Grüne hätte in der Abschiedsrede nicht über Strassen und Internetausbau, sondern über Klima und Nachhaltigkeit gesprochen.»
Zufrieden und wohlwollend, aber nicht euphorisch äussert sich GLP-Präsident Jürg Grossen über Sommarugas Bilanz im Uvek. «Sie hat einen sehr soliden Job gemacht.» Sie habe sehr engagiert und wohlüberlegt versucht, die Klimapolitik voranzutreiben. «Leider ging es nicht so schnell vorwärts, wie es nötig gewesen wäre.» Er verweist auf den Mantelerlass, der nach Jahren immer noch im Parlament hängig ist. «Es braucht mehr Tempo, mehr kleinere Schritte, die schnell umgesetzt werden können, um die Klima- und Energieziele zu erreichen», fordert er.
Bereit für den Winter – den Rest muss Rösti übernehmen
Dass es rasch gehen kann, zeigt sich seit Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die Energiepolitik erhält dadurch eine neue Dringlichkeit. Unter Federführung von Sommaruga werden diverse Massnahmen umgesetzt, um die Schweiz für den Winter zu rüsten: Wasserkraftreserve, Rettungsschirm für Stromkonzerne, Energiesparkampagne, zwei Not-Kraftwerke in Birr AG und Cornaux NE. Beide werden mit Gas oder Öl betrieben – keineswegs grün, sondern pragmatisch.
Gleichzeitig erhält der Ausbau der erneuerbaren Energien wegen des Kriegs kräftig Schub. Das Parlament macht in Sommarugas Sinn vorwärts, beispielsweise mit der Solaroffensive. Den sogenannten Mantelerlass gestaltet der Ständerat noch ambitionierter aus.
Dabei blies diesem zu Beginn ein harter Wind entgegen. Sommaruga sagte kürzlich, sie könne rückblickend «nur staunen, wie gross am Anfang der Widerstand gegen die Verlängerung der Förderung und den Ausbau der erneuerbaren Energien war. Davon ist heute nichts mehr zu spüren.»
Noch ist die Vorlage aber nicht in trockenen Tüchern. Sommaruga tritt früher ab als geplant, wegen der Gesundheit ihres Mannes. Die Geschicke des Uvek übernimmt Albert Rösti. An ihm wird es auch sein, den Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative zu verteidigen, den seine Partei mit einem Referendum bekämpft. Simonetta Sommaruga, lange die Lieblingsfeindin der SVP, kann sich dann zurücklehnen. Und ihren grünen Daumen wieder im Garten ausleben.