«Viererbande»? Die dümmste Ausrede für die Absage an eine Bundesratskandidatur
So hat sich das die Mitte-Partei mit Bestimmtheit nicht vorgestellt. Nach der Rücktrittsankündigung von Bundesrätin Viola Amherd hagelt es Absage um Absage. Der «Tages-Anzeiger» hat bereits den «Fachkräftemangel» ausgerufen. Offensichtlich ist: Eine umsichtige Personalplanung hat die Mitte-Partei nicht. Noch hat niemand offiziell seine Kandidatur bekannt gegeben. Die deutlichsten Signale sendet derzeit Bauernpräsident Markus Ritter aus.
Interessant ist, wie die Absagen begründet werden. Eine beliebte Erzählung für die Unlust ist der Viererblock im Bundesrat. Die vier Vertreter aus FDP und SVP würden einfach durchregieren. So bezweifelt Parteipräsident Gerhard Pfister, dass ein Mitte-Bundesrat aktuell in der Regierung viel bewirken kann, wie er im Interview mit der «SonntagsZeitung» erklärte. Der Bundesrat setze «zu stark auf die Macht des Viererblocks aus SVP und FDP». Das sei problematisch, weil das weder den Mehrheitsverhältnissen im Parlament noch dem Willen der Stimmbevölkerung entspreche. Fraktionschef Philipp Bregy doppelte in der «NZZ am Sonntag» nach. «Der starre Viererblock im Bundesrat aus FDP und SVP ist für die politische Ausgewogenheit im Land nicht ideal.»
Der «Sonntagsblick» zeichnete nach, wie Viola Amherd zunehmend isoliert wurde. Auch in dieser Erzählung spielt der Viererblock eine entscheidende Rolle.
Unbestritten ist: Finanzministerin Karin Keller-Sutter und Infrastrukturminister Albert Rösti bilden das starke Gespann im Bundesrat. SVP und FDP haben zusammen im siebenköpfigen Gremium die Mehrheit. Und es wird tatsächlich interessant sein, ob Keller-Sutter der Rollenwechsel gelingt in diesem Jahr: von der inoffiziellen Regierungschefin zur integrierenden Bundespräsidentin.
Und dennoch ist die Erzählung des Viererblocks stark politisch motiviert. Die Mitte schielt auf den zweiten Sitz der FDP.
Mit dem Rücktritt von BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf vor knapp zehn Jahren wurde die FDP-SVP-Mehrheit im Bundesrat wiederhergestellt. Die Klagen vom Viererblock sind indes eine neuere Erzählung. Das hat vor allem mit den Persönlichkeiten im Bundesratsgremium zu tun, welche die Dynamik entscheidend beeinflussen können. Doris Leuthard war in ihren letzten drei Amtsjahren in der gleichen Rolle wie Viola Amherd. Isoliert war sie deswegen nicht – sondern sie blieb bis zum Schluss eine mächtige und gestaltungswillige Bundesrätin.
Von SP-Magistratin Simonetta Sommaruga wiederum ist bekannt, dass sie mit ihrer Hartnäckigkeit ihre Regierungskollegin Karin Keller-Sutter ziemlich nerven konnte. Sommaruga schaffte es etwa, eine Soft-Quote für Frauen in Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen im Bundesrat oder Massnahmen zur Lohngleichheit durchzubringen (der damalige Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt tobte und bezweifelte, dass der Bundesrat tatsächlich bürgerlich ist). Sommaruga schaffte es, mit Kooperation, Kompromiss und Beharrlichkeit für ihre Minderheitspositionen Mehrheiten zu schaffen.
SP-Bundesrat Alain Berset galt ebenfalls als einflussreich im Bundesratsgremium. Er hatte sich gut verstanden mit Karin Keller-Sutter, weil beide das Politikhandwerk beherrschen.
Das erklärte Ziel der Mitte ist, 2027 den zweiten Bundesratssitz zurückzuholen. Tatsächlich liegt sie mit der FDP beim Wähleranteil faktisch gleich auf. Zählt man die Sitze in der Vereinigten Bundesversammlung, liegt die Mitte gar vor der FDP. Und dies wiederum ist die entscheidende Währung bei der Ausmarchung der Bundesratssitze.
Der zweite Bundesratssitz liegt für die Mitte also in Reichweite. Dann könnten ihre Vertreter entscheiden, ob das Pendel nach links oder rechts ausschlägt. Spätestens dann wäre es äusserst spannend, Mitte-Bundesrat zu sein. Wer jetzt mit dem Verweis auf den Viererblock kneift, glaubt weder an die eigene Gestaltungskraft noch an die Möglichkeit, den zweiten Sitz zurückzuholen.
Bereits zeichnet sich ab, dass bei der Wahl der Nachfolge von Viola Amherd Mitte-Rechts den Ausschlag geben dürfte. Kommt es 2027 tatsächlich zur Neudefinition der Zauberformel, dürfte der nächste zweite Mitte-Bundesrat aber von Mitte-Links gewählt werden. Die grosse Gefahr für die Mitte? Zwei Bundesräte, deren Positionen sich gegenseitig aufheben. Das Land zusammenzuhalten, ist eine komplizierte Aufgabe.