Zum Schluss noch eine halbe Pirouette: Warum die Grünen die «unwählbaren» SVP-Kandidaten dann doch wählten
Immer und immer wieder haben die Grünen in den letzten Jahrzehnten SVP-Bundesratssitze angegriffen. Noch 2015, als Guy Parmelin gewählt wurde, hatten die Grünen erklärt: Die SVP gehöre nicht in die Regierung, man werde ihre Kandidaten daher nicht zu Hearings einladen.
Diesmal war das anders. Die Grünen verzichteten auf eine eigene Kandidatur – angesichts des «Machtkartells» der Bundesratsparteien sei diese sowieso chancenlos, erklärten sie. Und sie luden zum ersten Mal die beiden SVP-Kandidaten zum Hearing ein. Sie spielten also nach den ungeschriebenen Regeln der Bundesratswahl.
Das Fazit nach den Hearings lautete dann allerdings: Die Positionen der beiden SVP-Kandidaten seien für die Grünen-Fraktion «nicht tragbar». Deshalb empfahlen die Grünen weder Albert Rösti noch Hans-Ueli Vogt zur Wahl.
Nach diesem Slalomkurs folgte am Mittwoch noch eine halbe Pirouette: Mindestens 19 der 35 Fraktionsmitglieder der Grünen schrieben einen der beiden offiziellen SVP-Kandidaten auf den Wahlzettel – trotz «untragbaren» Positionen. Das geht aus den Wahlresultaten hervor. Dem Vernehmen gingen die Stimmen fast ausnahmslos an Hans-Ueli Vogt.
Wie kam es dazu? Grünen-Präsident Balthasar Glättli sagt: «Wir haben die beiden SVP-Kandidaten eingeladen, damit sich alle Fraktionsmitglieder eine Meinung bilden konnten.» Man sei dann zwar zum Schluss gekommen, die Position beider Kandidaten seien für die Grünen nicht tragbar.
Dass trotzdem mindestens die Hälfte der Grünen einen offiziellen Kandidaten wählte, erklärt Glättli so: «Da es keine Möglichkeit gab, einen SVP-Bundesrat zu verhindern, ging es jenen, die für einen SVP-Kandidaten stimmten, darum, Einfluss zu nehmen und sozusagen das kleinere Übel zu wählen.»
Albert Rösti, bei den Grünen als Öl- und Autolobbyist verschrien, sollte also verhindert oder zumindest etwas ausgebremst werden. Den Anspruch der SVP auf zwei Sitze haben die Grünen faktisch hingegen nicht mehr bestritten.
Eine Niederlage, die helfen könnte
Ihren eigenen Anspruch wollen die Grünen nächstes Jahr anmelden. Bei den Gesamterneuerungswahlen wollen sie das «Machtkartell» knacken. Im Fokus steht erneut ein Angriff auf den FDP-Sitz, wie er 2019 scheiterte.
Dass es bisher nicht geklappt hat, sorgt bei manchen Grünen für Frust. Glättli sagt: «Immerhin ist inzwischen anerkannt, dass die Grünen mit ihrer Grösse auf Dauer Anspruch auf einen Bundesrat haben.» Entscheidend seien die nationalen Wahlen 2023.
Grünen-Fraktionschefin Aline Trede zeigte sich am Donnerstag konsterniert über das Resultat der Bundesratswahl. Ein ansehnlicher Teil der Bevölkerung sei nicht mehr repräsentiert: «Die grünen Kräfte sind im Bundesrat nicht vertreten, die urbane Schweiz auch nicht mehr.»
Das hätten die Grünen auch sich selbst zuzuschreiben, heisst es aus anderen Parteien. Zu strategielos seien sie unterwegs, zu unbedarft im Machtpoker. Am Schluss könnte den Grünen die neue Zusammensetzung im Wahlkampf jedoch sogar helfen: Eine Regierung ohne SP-Umweltministerin Simonetta Sommaruga und ohne Vertretung der Städte gibt ihnen die Chance, sich als frische, urbane Kraft zu inszenieren, die dem Bundesrat nun fehle.