Berset-Nachfolge: Rot oder Grün ist einerlei – und doch ganz anders
Könnten Sie spontan drei Themen nennen, bei denen sich SP und Grüne unterscheiden? Falls ja: Gratulation! Im Parlament stimmen die beiden Linksparteien zu 95 Prozent gleich ab, und es kommt höchst selten vor, dass sich ihre Parolen für Volksabstimmungen unterscheiden.
Der holländische Maler Piet Mondrian ist weltbekannt für seine Bilder mit Farbflächen und schwarzen Linien. Dass er auf Rot, Gelb und Blau setzte und Grün mied, hat künstlerische, nicht politische Gründe. Unsere Redaktion hat sich die Freiheit genommen, ein berühmtes Mondrian-Bild neu einzufärben – mit roten und grünen Flächen. Es wirkt harmonisch und ausgewogen. Doch ganz so ist das Verhältnis von SP und Grünen nicht mehr.
Der Rücktritt des sozialdemokratischen Bundesrats Alain Berset stört die eingeübte Eintracht. Die Grünen feiern dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen, sie wurden lange nach Mondrians Ableben (1944) gegründet. Sie sind immer noch jung und doch etabliert – und streben entschlossen nach Macht. Am liebsten würden sie auf Kosten eines bürgerlichen Sitzes in den Bundesrat einziehen. Aber ihr einstiges Versprechen, keinen SP-Sitz anzugreifen, hat ein Verfalldatum: Die Parlamentswahlen im Oktober. Die Bundesräte werden erst im Dezember gewählt.
Was die politischen Positionen betrifft, spielt es keine Rolle, ob ein SP- oder ein Grünen-Mitglied in den Bundesrat gewählt wird. Trotzdem gibt es einen Unterschied. Er betrifft das Milieu, den Stallgeruch und die Geschichte der beiden linken Parteien. Grüne sind jünger, weiblicher, oft auch städtischer als der prototypische Sozialdemokrat. Die SP wurde 1888 als Arbeiterpartei gegründet, wenige Jahre nach Mondrians Geburt. Sie schleppt viel historischen Ballast mit sich, und statt revolutionär ist sie längst sozialkonservativ, staatstragend geworden.
Sollte den Grünen der Coup gelingen – der Weg dorthin ist steinig –, gäbe dies der Regierung keine neue Richtung, aber es würde ein Teil der Bevölkerung in das Siebnergremium integriert, der bisher aussen vor blieb. Das könnte belebend wirken. Und es wäre ein Beitrag zu dem, was in der Sprache der Linken Diversität und Inklusion heisst.