Ihr Wohnsitz in der Schweiz hat Alice Weidel bis jetzt nicht geschadet: Die AfD benennt erstmals eine Kanzlerkandidatin
Wenn die AfD am Samstag zu ihrem Parteitag in Ulm zusammenkommt, wird sie einen Entscheid treffen,der ihr gestärktes Selbstbewusstsein unterstreicht. Erstmals in ihrer knapp 12-jährigen Geschichte wird die Partei eine Kanzlerkandidatin aufstellen: Alice Weidel.
2017 ging die 45-Jährige noch als Spitzenkandidatin an der Seite Alexander Gaulands in den Wahlkampf, 2021 mit Tino Chrupalla, mit dem zusammen sie die Partei seit zwei Jahren führt. Intern umstritten ist Weidels Nominierung nicht: Die westdeutsche Ökonomin ist dem ostdeutschen Malermeister Chrupalla intellektuell und rhetorisch weit überlegen, und er hat die inoffizielle Rangordnung nie offen infrage gestellt.
Die Kandidatin widerlegt zahlreiche Klischees
Natürlich hat Weidel keine Chance auf die Kanzlerschaft, denn mit der AfD koalieren will keine andere Partei. Der Kandidaten-Titel soll ihr Medienpräsenz verschaffen. Mit Weidel, Kanzler Olaf Scholz, Oppositionsführer Friedrich Merz und dem Grünen-Politiker Robert Habeckkönnte 2025 aus dem TV-Triell ein «Quartell» werden.
Weidels Weg an die Spitze spricht für ihr taktisches und strategisches Geschick, aber auch für eine gewisse Ruchlosigkeit: Der AfD trat sie als wirtschaftsliberale Ideologin bei; mit rechtsradikalen Milieus dürfte sie anfangs wenig im Sinn gehabt haben. 2017 wollte sie den Rechtsaussen Björn Höcke noch aus der Partei werfen, später arrangierte sie sich mit ihm und seinen Anhängern. Weidels Vorgänger Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen waren an den Extremisten gescheitert.
Wenn Weidel heute von «Messermännern» spricht, fällt sie in ihrer Partei kaum noch aus dem Rahmen. Sonst widerlegt sie viele Klischees über rechte Politiker: Mangelnde Weltläufigkeit wird man einer Frau, die Mandarin spricht, kaum vorwerfen können. Als Kandidatin dürfte Weidel längst nicht nur jene «Abgehängten» ansprechen, die angeblich das Gros der AfD-Wähler ausmachen, sondern auch eine gutsituierte, tendenziell westdeutsche Klientel, die glaubt, ihr schwämmen die Felle davon.
Dass Weidels sexuelle Orientierung auch in AfD-Kreisen kaum noch jemanden stört, zeigt, wie liberal Deutschland in diesen Fragen geworden ist. Dennoch könnte ihre Ehefrau, die sri-lankisch-stämmige Schweizerin Sarah Bossard, im Wahlkampf zumindest indirekt zum Thema werden. Dies hat mit Weidels Wohnsitz zu tun.
Es bleibt bei Spekulationen über ihren Lebensmittelpunkt
Die Frage,ob die AfD-Chefin ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland habe oder im schwyzerischen Einsiedeln,wird von deutschen Medien immer wieder einmal aufgeworfen. Theoretisch dürfte Weidel sogar als Kanzlerin die meiste Zeit im Ausland wohnen; praktisch gesehen sähe es schon schlecht aus, wenn sie dies als Kandidatin täte. Ihr Lebensmittelpunkt sei in Deutschland, sagt Weidel.
Erhärten liessen sich die Spekulationen über ihren hauptsächlichen Wohnsitz bisher nicht, wohl auch, weil Journalisten dafür allzu tief in die Privatsphäre der Politikerin eindringen müssten. So bleibt es bei Mutmassungen wie jüngst im Konstanzer «Südkurier», der die plakativ formulierte Ahnung, Weidel lüge über ihren Wohnsitz, dann doch lieber mit einem Fragezeichen versah. Die AfD-Chefin dürfte es gelassen sehen: Geschadet zu haben scheint ihr die Wohnsitzfrage bisher nicht.