Mit 156 Stimmen: Ignazio Cassis zum neuen Bundespräsidenten gewählt
Die Bundesversammlung hat am Mittwoch Ignazio Cassis zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Der FDP-Bundesrat ist Vorsteher des Aussendepartements (EDA). Er erhielt 156 von 197 gültigen Stimmen. Der Bundespräsident führt die Sitzungen des Bundesrates und schlichtet bei strittigen Fragen. Während seines Amtsjahres repräsentiert er jedoch vor allem auch die Landesregierung. Im Vorjahr war Cassis bereits Vizepräsident. Damals erhielt er 162 Stimmen. Für ihn rückt nun Innenminister Alain Berset nach. Er erreichte 158 von 204 gültigen Stimmen.
Cassis bedankte sich nach der Wahl für das ihm entgegengebrachte Vertrauen. «Ich bin mir voll und ganz bewusst, welche Verantwortung damit einhergeht.» Die Pandemie verlange viel Geduld, sagte Cassis im Hinblick auf das nächste Jahr. «Gerade in dieser Zeit müssen wir uns darauf besinnen, was uns verbindet.» Die Vielfalt der Schweiz sei eine ständige Herausforderung, sie bringe aber auch Innovation hervor. «Ich bin überzeugt, jede Krise ist auch ein Ansporn, neue Ideen für die Gestaltung der Zukunft zu entwickeln.» Denn das Virus werde zwar bleiben, die Krise aber ein Ende haben.
Der 60-jährige Arzt übernimmt das Präsidium von Guy Parmelin, dessen Amtsjahr ebenfalls ganz im Zeichen der Coronakrise stand. Auch eine Delegation aus seinem Heimatkanton Tessin war bei der Wahl anwesend. Cassis gelang im September 2017 der Sprung in die Regierung, als er sich gegen den einstigen FDP-Shootingstar und früheren Genfer Regierungsrat Pierre Maudet und die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret im zweiten Wahlgang durchsetzte.
Hypothek: Rahmenabkommen
Cassis‘ politische Karriere begann 2004 im Gemeinderat in Collina d’Oro. Im Juni 2007 betrat er die nationale Bühne, als er für die designierte Tessiner Regierungsrätin Laura Sadis in den Nationalrat rutschte. Zwei Jahre lang präsidierte er auch die FDP-Fraktion im Parlament. In der grossen Kammer etablierte sich Cassis als Gesundheitspolitiker. Im Vorfeld der Bundesratswahlen sorgte seine Nähe zur Krankenkassenbranche für viel Kritik – vor allem von der Ratslinken.
Im neuen Amt erwies sich dann jedoch ein anderes Thema als Hypothek: Das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU. Dieses erbte Cassis von seinem Vorgänger und Parteikollegen. Didier Burkhalter hatte auch aus Frust nach dem jahrelangen Geknorze und der wachsenden Kritik am Abkommen seinen Rücktritt als Aussenminister erklärt.
Trotz der Vorgeschichte zeigte sich Nachfolger Cassis zu Beginn unbekümmert. Vielleicht auch als Zugeständnis an die SVP, der er die Wahl in den Bundesrat massgeblich verdankt, schürte der neue Aussenminister mit der kühnen Ansage eines Neubeginns grosse Hoffnungen. Je länger Cassis aber beim Rahmenabkommen den «Reset-Knopf» nicht fand, desto unglaubwürdiger wurde er. Daran änderte sich auch nichts, als der Gesamtbundesrat diesen Mai das Abkommen definitiv beerdigte.
Zweifelhafter Deal mit Philip Morris
Nicht nur in diesem Dossier macht der Tessiner eine glücklose Figur. In die Schlagzeilen geriet er im Sommer 2019 mit einem zweifelhaften Deal: Cassis wollte den Auftritt der Schweiz an der Weltausstellung in Dubai durch den Tabakkonzern Philip Morris sponsern lassen, wie Recherchen von CH Media enthüllten. Nach heftiger Kritik krebste der Aussenminister schliesslich zurück.
Bleibt zu hoffen, dass Cassis als Bundespräsident mehr Glück hat als bei seiner letzten Auslandreise. Nach einer Panne am Bundesratsjet musste der Aussenminister Ende November auf dem Weg nach China in Moskau zwischenlanden. Danach ging es dann aber nicht weiter Richtung Osten, sondern zurück in die Schweiz.
Im Gepäck hatte Cassis die neue Strategie, wie der Bundesrat künftig mit der Grossmacht China umgehen möchte. Es ist ein weiteres schwieriges Dossier. Bei der Präsentation letzten März hatte die Strategie hohe Wellen geschlagen. Der Bundesrat hat nämlich die Hoffnung aufgegeben, dass die wirtschaftliche Öffnung Chinas auch mit einer politischen Öffnung des Landes und mehr Freiheiten für die chinesische Bevölkerung einhergeht. Die für Schweizer Verhältnisse deutlichen Worte waren beim Gegenüber schlecht angekommen.