Zwist um die Wiege der Schweiz: Warum wir «Rütli» und die Romands «Grütli» sagen
In vielen 1.-August-Reden wird morgen die nationale Einheit beschworen. Gar nicht gut um den Zusammenhalt steht es jedoch ausgerechnet in der Wiege der Schweiz: Um die Rütliwiese tobt ein Machtkampf. Seit Monaten sorgt die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft, die jährlich die Bundesfeier organisiert, mit internen Querelen für Schlagzeilen.
Damit nicht genug. Auch zwischen den Sprachregionen herrscht Uneinigkeit um die sagenumwobene Wiese: Während die Deutschschweiz vom «Rütli» spricht, kommt das Wort im Tessin und in der Romandie nicht ohne G aus: Hier sagt man «il Grütli» (ital.) oder «le Grütli» (frz.).
Wie kann es sein, dass unsere Willensnation diesen prägenden Ort unterschiedlich benennt? Ist den Welschen und Tessinerinnen ein Übersetzungsfehler unterlaufen? Oder will sich die sprachliche Minderheit bewusst abgrenzen?
Weit gefehlt. «Rütli» und «Grütli» stammen vom selben Wort ab. Sie gehen auf «reuten» oder «gereutet» zurück, was «den Wald roden/gerodet» bedeutet. Lange Zeit war «Grütli» in der Deutschschweiz ebenfalls verbreitet. Das zeigt sich auch daran, dass der Grütliverein schweizweit unter diesem Namen auftrat.
Der patriotische Arbeiterverein war 1838 in Genf gegründet worden. Sein deutschsprachiges Magazin hiess «Der Grütlianer», und auch die 1872 in Olten errichtete Krankenkasse Grütli buhlte hierzulande um Kundschaft.
Auf sprachlicher Ebene gibts also keinen Anlass für einen Machtkampf um die Wiege der Schweiz. (G)rütli hin oder her.