Comiclegende Cosey in Basel: Im Rückblick macht der Umweg Sinn
Berggipfel, ein junger Mann hängt reglos in der Luft, nur sein zerzaustes Haar verrät den Sturz ins Bodenlose. Jonathan hat einen Fallschirm umgeschnallt, sicher, aber es ist eben doch ein Sprung ins Ungewisse. «Wunderlicher Junge», denkt der Pilot des einmotorigen Flugzeuges, das zwischen den Bergketten des Himalaja verschwindet. «Viel Glück.»
Als der in Lausanne geborene Zeichner Bernard «Cosey» Cosandey Mitte der Siebzigerjahre mit seiner Geschichte um einen Schweizer Aussteiger in Tibet hausieren ging, konnte er noch nicht ahnen, dass Jonathan ihn 47 Jahre lang begleiten würde. «Alle Verlage lehnten ab, alle bis auf den letzten», sagt der Zeichner fröhlich. «Und dann hiess es: Wann kommt der nächste Band?» Aus der Aufforderung sind 16 Fortsetzungen geworden.
Schon mit sieben Jahren wusste Cosey, dass er Zeichner werden wollte. «Mein Familienzweig in den USA war vielleicht mit ein Grund für mein Interesse an Fiktion: eine Art Fenster auf andere Lebensentwürfe. Vor allem aber hatte ich Freude am Lesen.» Reiseliteratur, Comics.
Nach einem kurzen Intermezzo als Grafiker schrieb der Zeichner einen Brief an sein Vorbild, den Waadtländer Claude de Ribaupierre, kurz Derib. Bald darauf arbeitete Cosey als Deribs Assistent und begegnete einem weiteren Jugendidol: Tim-und-Struppi-Vater Georges «Hergé» Remi. «Für mich als jungen Zeichner war es schon Inspiration, mich mit ihm über das Wetter zu unterhalten», erzählt Cosey. «Und dann teilten wir auch noch ein Interesse für Philosophie, indigene Völker – und Tibet.»
Die prächtige Einzelausstellung im Cartoonmuseum Basel verrät viel über Coseys Faszination für Asien. Neben einem umfassenden Überblick zum Schaffen des Zeichners sind auch Leihgaben versammelt, die das Museum der Kulturen beigesteuert hat: sakrale Figurinen und andere Ritualgegenstände, wie sie Cosey detailliert darstellt.
Augenzeugenberichte aus einem besetzten Land
«Als ich mit ‹Jonathan› anfing, war Tibet noch wenig dokumentiert. Also habe ich mit Reisen begonnen.» Bei aller Detailfülle ist Cosey die Stilisierung aber ebenso wichtig: «Ich suggeriere oft, damit sich die Leserschaft Dinge vorstellen kann, die gar nicht in der Zeichnung sind.»
Seine Faszination für den Tibet mag Cosey nicht erklären. «Warum interessiert man sich für Western, Science-Fiction oder James Bond? Bei mir war es eben der Tibet, voilà.» Historisch einbetten lässt sich diese Faszination trotzdem, wie Museumsleiterin Anette Gehrig auf dem Rundgang durch die Ausstellung erklärt: In den Siebzigerjahren nahm die Zahl der Flüchtenden aus Asien zu, gleichzeitig blieb Tibet als Sehnsuchtsort der 68er hoch im Kurs. Cosey lässt Jonathan ganz Asien bereisen, Burma, Japan, Indien.
Kate, einer der ersten selbstbestimmten Frauenfiguren im Comicschaffen der Achtzigerjahre, folgt der Weltenbummler in die USA. Auch dort gibt es Berge – und die Disney-Studios: Mit 28 Jahren war Cosey beim Mauskonzern vorstellig geworden, um für den Trickfilm zu arbeiten. Doch die Aussicht auf Fliessbandarbeit schreckte den Zeichner ab, er zog weiter. Jonathans Freiheitsdrang und seine spirituelle Selbstsuche kommen nicht von ungefähr.
«Er ist eine verbesserte Version von mir, in allen Belangen», sagt der Zeichner. «Ich bin nur sein Schatten.» Trotzdem musste sich dieser Schatten nach Jonathans US-Abenteuer elf Jahre von seinem Geschöpf trennen und erzählerisch neue Wege gehen: nach Vietnam, Italien und sogar in die Schweizer Alpen.
Als Cosey die «Jonathan»-Reihe wieder aufgriff, wurde auch sein Ton kritischer, zwangsläufig. «Politische Botschaften altern schnell», sagt der Zeichner. «Aber wenn ich heute eine Geschichte über den Tibet erzähle, mache ich einen Comic über ein besetztes Land. Das ist keine Botschaft, sondern ein Augenzeugenbericht.»
Band 17, «La piste de Yéshé», soll jetzt Jonathans letztes Abenteuer sein. «Serien fransen oft aus. Ich wollte ein richtiges Ende für meine Leserschaft.» So handelt «La piste de Yéshé» von einem Umweg, der doch zu einem Ziel führt, von einem Kreis, der sich schliesst: Die Figur kehrt zu ihrem Schöpfer zurück.
Wie geht es von hier aus weiter? «Das weiss ich noch nicht», sagt der 72-Jährige gelassen. «Die Suche nach einer neuen Idee ist anders als das Zeichnen: Zeichnen ist Arbeit. Die reine Recherche hat viel mit Zufall zu tun, das ist sehr schwierig. Mein Ziel ist es, mich selbst zu überraschen.» Cosey ist wieder einmal bereit für einen Sprung.