Geboosterte brauchen im Frühling wohl keine Omikron-Impfung
Werden wir aus dem Corona-Impfen nicht mehr herauskommen? Diese Frage steht im Raum, seit bekannt wurde, dass selbst zwei mRNA-Impfungen nach vier Monaten nicht mehr zuverlässig vor einer Infektion schützen. Bereits knapp drei Millionen Personen haben sich deshalb in der Schweiz «boostern» lassen, also eine dritte Impfdosis bekommen. Israel verteilt schon die 4. Impfdosis und die Impfhersteller versprechen an Omikron angepasste Impfstoffe für den Frühling.
Doch werden diese nötig sein? Immunologe Andreas Radbruch von der Berliner Charité findet die 4. Dosis nicht sinnvoll, das würden die Daten aus Israel nach den vierten Impfungen zeigen:
«Bei der vierten Impfung scheint das Immunsystem gesättigt zu sein. Der Anstieg der Antikörper ist nur noch knapp 5-fach nach einem Pfizer/Biontech-Boost und der Spiegel fällt schnell wieder ab».
Bei der 3. Impfung hatte man beim Stoff von Moderna hingegen noch einen Anstieg des Antikörperniveaus innert vier Wochen um den Faktor 37 gesehen.
Das Immunsystem fange den Impfstoff offenbar erfolgreich ab, bevor es zu einer neuen Immunreaktion komme sagt Radbruch – zumindest solange es der gleiche Impfstoff in der gleichen Dosis sei. Auch der Leiter der israelischen Studie, Gili Regev sagte, das Level der Antikörper falle nur kurz nach der 4. Impfung wieder auf denselben Stand wie kurz nach der 3. Impfung.
Die Abwehrzellen bleiben über Jahrzehnte im Knochenmark
Radbruch kritisiert, dass teilweise von einer «Auffrischimpfung» gesprochen wird statt von einem Booster, also einer Verstärkung. «Diese Leute haben nicht verstanden, wie Impfungen wirken.» Die Menge der Antikörper nehme über ein halbes Jahr bis ums Zehnfache ab, aber die Antikörper würden dafür 10- bis 100-mal besser an das Virus binden, erklärt Radbruch. Das nenne man Affinitätsreifung: Es werden zwar weniger, aber viel bessere Abwehrzellen aktiviert.
In der Gedächtnisphase, in die das Immunsystem nach rund einem halben Jahr übergeht, wenn keine Spikeproteine mehr im Körper sind, würden sich die Gedächtnis-Plasmazellen im Knochenmark einnisten. Dort werden sie von Bindegewebszellen am Leben erhalten. «Über Jahrzehnte, wenn nicht das ganze Leben», erklärt Radbruch.
«Die Antikörper, die sie machen, binden so fest an das Virus, dass sie auch viele noch gar nicht existierende Varianten neutralisieren würden. Nur wenn Varianten auftreten, die diesen Schutz durchbrechen, bräuchte es eine neue Impfung mit einem angepassten Impfstoff.» Das hält er für nicht sehr wahrscheinlich.
«Nicht häufiger als nötig impfen»
Radbruch gibt zu bedenken, dass bei jeder Impfdosis die Nebenwirkungen, welche vorwiegend durch das angeborene Immunsystem verursacht werden, bleiben würden. Radbruch sagt:
«Deshalb wäre es klug, nicht häufiger zu impfen, als unbedingt nötig.»
Der Immunologe hat auch Bedenken, Patienten mit einer Autoimmunerkrankung immer wieder zu impfen. Dies weil zum Beispiel eine Impfung bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis einen Krankheitsschub auslösen kann, wie eine Studie zeigte. Allerdings nur bei rund 4 Prozent der Patienten. Radbruch findet, man müsse den Nutzen eines Boosts bei solchen Personen genau abwägen.
Radbruch äusserte sich bereits Ende September skeptisch gegenüber einer 3. Dosis für alle, weil schon die zweifache Impfung die meisten Personen lange zu mehr als 95 Prozent vor schwerer Erkrankung schützt. Er sagt nun aber, der Effekt des Boosters sei für alle sinnvoll um das immunologische Gedächtnis zu sättigen.
Dass man sich nun ständig impfen lasse, um nicht nur den schweren Krankheitsverlauf, sondern die Infektion an sich zu verhindern und somit auch Long Covid, das sieht Radbruch nicht als realistisch an: «Ich bin skeptisch, ob die Impfung das erreicht, mit oder ohne Booster.»
Auch Europäische Arzneimittel-Agentur hält viele Booster nicht für sinnvoll
Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA sagte an einer Pressekonferenz am 11. Januar, die Länder sollten zumindest mehr als vier Monate Zeit zwischen Booster-Impfungen verstreichen lassen und sie vor allem vor der kalten Jahreszeit verabreichen wie bei der Grippeimpfung. Marco Cavaleri, der Chef der Impfstrategie bei der Ema sagte:
«Boostern kann man einmal, vielleicht zweimal, aber es ist nicht etwas, das immer wieder wiederholt werden sollte.»
Man solle nun über den Übergang von der Pandemie zu einer eher endemischen Situation nachdenken.
Das würde gegen eine 4. Impfung im Frühling sprechen, selbst wenn diese auf Omikron zugeschnitten wäre. Radbruch versichert: «Durch die zweimalige Impfung mit mRNA Impfstoffen ist man zu ca. 70 Prozent vor schwerer Erkrankung durch Omikron geschützt, nach dem Boost zu rund 90 Prozent. Ein Boost mit Omikron-angepasstem Impfstoff könnte da noch etwas draufsetzen, es wird aber nicht viel sein.»
Booster nur noch für Risikopersonen
Der Leiter der Impfkommission, Christoph Berger, sagt jedoch, bei den Risikogruppen würde sich der Impfschutz schneller reduzieren oder eben teilweise gar nicht erst genug gut wirken. So kann es wieder zu schweren Erkrankungen kommen.
Eine repetitive Impfung alle vier bis sechs Monate über Jahre hinaus hält Berger aber nicht für wahrscheinlich. Möglich seien weitere Coronaimpfungen aber für Menschen mit hoher Gefährdung, mit Vorerkrankungen und hohem Alter.
Berger erwartet nach der Omikron-Welle einen entspannten Sommer. Im nächsten Herbst könnte aus heutiger Sicht eine vierte angepasste Impfung wieder eine Rolle spielen. Allerdings gebe es im Moment zu Omikron aufgrund seiner noch kurzen Geschichte noch einige offene Fragen. Mitentscheidend für die Impfstrategie werde zudem sein, ob eine neue besorgniserregende Variante auftaucht.
Dass das mehrfache Impfen für unseren Körper zu viel werden könnte, denkt der Leiter der Infektiologie am Kinderunispital Zürich nicht. Unser Immunsystem komme mit Auffrischimpfungen problemlos zurecht. Er sagt: «Die Impfung ist immer eine Abwägung:
Man wägt ab, was passiert, wenn ich mich nicht impfe und was ich in Kauf nehme durch die Impfung. Diese Abwägung wird in den nächsten Jahren wieder mehr zu einer Individualisierung führen, weg von den Pandemiemassnahmen»
Klar ist: Das Virus wird bleiben und zusätzlich zu den bisherigen Krankheiten nach wie vor zu Todesfällen in der Bevölkerung führen.