Experte sagt, wieso Boostern wichtig bleibt
Die grosse Mehrheit in der Schweiz ist geimpft: 6,1 Millionen Menschen, 80 Prozent der Erwachsenen mit zwei Dosen. Nun blicken wir dem Ende der Pandemie entgegen. Soll man seine Kinder jetzt noch impfen oder sich boostern lassen? Angesichts der entspannten Lage zögern nun einige.
Es ist nicht so, dass es keine Erstimpfungen mehr gibt. Etwa 2500 pro Woche, häufig Kinder zwischen fünf und elf erhalten die erste Dosis. Und ungefähr 30’000 Personen lassen sich pro Woche boostern. «Wir bewerten die Entwicklung der Auffrischimpfung als eher zufriedenstellend», sagt Nani Moras vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Bereits zwei Drittel der in Frage kommenden Personen sind geboostert und 83 Prozent bei den über 65-Jährigen.»
Nun fehlt mit der Aufhebung der Zertifikatspflicht wohl einigen der Druck, sich ein drittes Mal impfen zu lassen. Bei anderen wird die dritte Impfung vorläufig hinfällig. Nani Moras sagt:
«Mit den zahlreichen aktuellen Omikron-Ansteckungen nimmt die Zahl der Genesenen zu, die deshalb ihre Auffrischimpfung verschieben.»
Das BAG empfiehlt, nach einer Infektion vier Monate mit dem Booster zu warten, und wer schon zweimal geimpft war, bei dem zählt die Infektion als Booster.
Booster durch Krankheit birgt Risiken
Für die anderen gibt es weiterhin gute Gründe, sich auch jetzt noch boostern zu lassen. Die Auffrischimpfung führt zu einem erhöhten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und Hospitalisierung; das BAG und die Impfkommission Ekif empfehlen diese weiter. «Sich durch eine Krankheit immunisieren zu lassen, birgt Risiken, die durch eine Impfung vermieden werden können», sagt Moras.
Der Nutzen der Impfung übersteige ihre Risiken bei weitem. «Der Booster verstärkt und verlängert den Schutz gegen eine schwere Krankheit, insbesondere gegen andere Varianten», sagt Moras.
Das bestätigen die aktuellsten internationalen Studien. Eine dritte Dosis der mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer oder Moderna veranlasst den Körper eine breitere Palette von Antikörpern zu bilden, die auch für weitere Virusvarianten schwer zu umgehen wären, wie eine am Dienstag vom Cold Spring Harbour Laboratory in New York online veröffentlichte Studie zeigt.
Dabei sind die Antikörper nur ein Faktor, verschiedene neue Studien zeigen, dass die benutzten Impfstoffe viele Gedächtniszellen erstellen, die das Coronavirus viele Monate oder sogar Jahre erkennen und vernichten können. In einer weiteren Studie der Washington University wird zudem gezeigt, dass eine dritte Impfung mehr Gedächtniszellen erzeugt als die zweite Impfung und die vom Booster erzeugen Antikörper erkennen eine breitere Palette von Angreifern.
Die dritte Impfung scheint lange zu wirken
Die Experten gehen davon aus, dass eine dritte Impfung somit lange wirkt und eine vierte deshalb für die grosse Mehrheit der Bevölkerung wohl kaum nötig sein wird. Das darf dreifach Geimpften auch beim Auftauchen einer neuen gefährlichen Variante im Herbst Hoffnung machen. Eine Studie im «Nature Medicine» zeigt zudem, dass die Gedächtniszellen, die von einer Impfung stammen, wirksamer gegen Omikron sind als jene von einer Infektion.
Virensequenzierer Richard Neher von der Universität Basel sagt, es sei bei dieser Frage wichtig, zwischen dem Schutz vor schwerer Erkrankung und Infektion zu unterscheiden. «Wir gehen generell davon aus, dass der Impfschutz vor schwerer Erkrankung auch für neue Varianten Bestand hat. Was die Antikörperantwort angeht, weisen viele Studien darauf hin, dass die Antwort sich verbreitert und Varianten besser abdeckt», sagt Neher. Er geht momentan davon aus, dass eine Auffrischung für Risikogruppen nötig werden könnte.
«Ähnlich, wie wir im Moment mit der Grippe verfahren. Aber welche Varianten tatsächlich im Herbst zirkulieren werden und wer am meisten von einer Auffrischung profitieren wird, können wir jetzt nicht voraussehen», sagt Neher, der auch Mitglied der Covid-19-Taskforce ist.
Die Taskforce hält in ihrem aktuellen Ausblick auf den Herbst fest, dass momentan nicht gesagt werden könne, wer eine Auffrischungsimpfung braucht. «Bezüglich dieser Frage gibt es leider noch sehr viele Unbekannte: neue Virusvarianten, die Abnahme des Immunschutzes, die Zirkulation des Virus im Sommer und damit milde Infektionen, die als Booster wirken und mehr», sagt Christian Münz von der Taskforce und Virologe an der Universität Zürich.
Infrastruktur für Impfungen aufrechterhalten
Die Taskforce rät deshalb, die Infrastruktur für das Impfen inklusive Personal für die Impfungen von Risikopersonen im Herbst sicherzustellen. Und auch für eine allfällige Impfkampagne der Gesamtbevölkerung. Mit einer hohen Immunität in der Bevölkerung können gemäss der Taskforce die negativen Auswirkungen des Virus gering gehalten werden. Damit würden unbeliebte Coronamassnahmen im Herbst verhindert. «Im Idealfall sollte die Grundimmunität in der Bevölkerung über 90 Prozent gehalten werden», sagt Münz. So gesehen, macht auch das Impfen von Kindern weiterhin Sinn.
Die hohe Grundimmunität haben wir nach Ende der Omikron-Welle vermutlich durch eine Kombination aus Impfung und Infektion erreicht. Bei ausreichender endemischer Viruszirkulation könnte diese durch wiederkehrende milde Infektionen erhalten bleiben. «Aber besonders vor dem Winter würde es sich empfehlen, die Grundimmunität immer wieder zu überprüfen und, falls notwendig, durch Auffrischungsimpfungen nachzubessern», sagt Münz.
Keine besondere Mühe mehr für die Ungeimpften
Doch wie sieht die Impfstrategie des BAG aus? Die Auffrischimpfung bringe den grössten Nutzen bei älteren und gefährdeten Menschen. Weitere grosse Überzeugungsarbeit für die Minderheit der Ungeimpften hat das BAG nicht geplant. Das BAG stellt den Kantonen, die für die Umsetzung zuständig sind, lediglich weiterhin zahlreiches Informationsmaterial zum Impfen zur Verfügung.
Die weitere epidemiologische Entwicklung des infektiologischen Geschehens, gerade im Herbst, könne nicht vorweggenommen werden. Eine weitere Impfung zum Beispiel der Risikopersonen könnte die Schweiz ausführen. «Der Bund hat für dieses und nächstes Jahr genügend Impfstoffe bestellt, um allen eine zusätzliche Auffrischimpfung zu ermöglichen», sagt Nani Moras. «Die zuständigen Kantone könnten die dazu notwendige Logistik und Infrastruktur, wenn notwendig, innert nützlicher Frist sicherstellen.»
Im Inland ist die Zertifikatspflicht aufgehoben worden. Bei Reisen ins Ausland behält das Covid-Zertifikat seine Bedeutung. Allerdings ist die Entwicklung wie alles im Laufe der Pandemie schwierig abzuschätzen, die Einreisebestimmungen verändern sich weiterhin rasant. Es gibt eine grosse Anzahl Länder, in die man vollständig geimpft oder genesen, ohne weitere Testpflicht, einreisen kann. Auf der Liste sind unter anderen Ägypten, Albanien, Finnland, Frankreich, Italien, Kroatien, Spanien, Slowenien, die Türkei und viele mehr. Wie lange ein Zertifikat noch nötig sein wird, lässt sich heute nicht sagen.