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«Die Pandemie ist noch nicht vorbei»: Die wissenschaftlichen Warner treten jedoch ab, nach hundert Auftritten fällt der Vorhang

Das Bundesamt für Gesundheit hat die letzte Covid-19-Fachmedienkonferenz abgehalten. Obwohl sich das Virus noch keineswegs verabschiedet hat. Die Taskforce protestierte nicht.

Der Vorhang fällt. Zum letzten Mal eröffnet der Pressesprecher des Bundesamts für Gesundheit den Covid-«Point de Presse» in Bern. So wird der hundertste Auftritt der Taskforce auch zum Symbol des offiziellen Endes der zweijährigen Pandemie.

Über die zwei Jahre sind viele Köpfe am Rednerpult im Medienzentrum des Bundeshauses aufgetaucht: Virginie Masserey und Patrick Mathys für das BAG, die jeweiligen Leiter und Wissenschafterinnen der Covid-19 Taskforce, die BAG-Direktorin, oberste Kantonsärzte, Swissmedic-Vertreter und ab und zu ein hoher Militär.

Mr. Corona wird in Erinnerung bleiben

Am stärksten in Erinnerung bleiben wird Daniel Koch vom BAG, der in der ersten Welle zum Mr. Corona geworden ist. Dies weil er in der Phase der grössten Verängstigung und Ungewissheit mit stoischer Ruhe die Fallzahlen kommentierte und auf grosse Teile der Bevölkerung kompetent und beruhigend wirkte. Doch seine zögerliche Haltung zum Maskentragen wird ihm bis heute um die Ohren gehauen.

Ein freudiges Ereignis waren die Auftritte der Taskforce nie. Wie Hiob mussten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter Woche für Woche galoppierende Fallzahlen und Hospitalisationen verkünden, überfüllte Intensivstationen und Covid-Todesfälle. Auch der Hundertste und wie immer per SRF in alle Stuben verbreitete «Point de Presse» sei kein Grund, die Korken knallen zu lassen, sagt Patrick Mathys bei seinem letzten Auftritt auf der grossen Bühne. Der Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit des BAG sagt:

«Das Virus SARS-CoV-2 hat uns auch nach zwei Jahren noch nicht verlassen und täglich infizieren sich noch sehr viele Menschen in der Schweiz.»

Doch diesmal treten die Expertinnen und Experten nicht mehr als heftige Warner auf. Auch die Leiterin der Taskforce Tanja Stadler nicht. Ihre jeweils präsentierten Szenarien, welche den möglichen Verlauf der Infektionen und Hospitalisationen voraussagten, machten die ETH-Professorin zum Feindbild der Coronaleugner und Massnahmengegner.

Die rote Linie sei oft überschritten worden, sagte sie diese Woche in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Sie wurde mit Drohungen per E-Mail und auch per Telefon und Combox eingedeckt. Nun erklärt sie am 100. «Point de Presse», aber warum es trotz aktuell enorm hoher Fallzahlen, doch möglich ist, Ende März das Ende aller Massnahmen zu verkünden.

Keine akute Krisensituation mehr

Nochmals betont Stadler zwar, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei, dass aber trotzdem keine akute Krisensituation mehr herrsche. Das sei auch der Grund, warum die Taskforce zwei Monate früher als geplant bereits Ende März aufgelöst wird.

Ein letztes Mal erzählt Stadler von den seit Ende Februar steigenden Fallzahlen, die auch im Abwasser dokumentiert sind und der hohen Dunkelziffer an Infektionen mit Faktor 4, weil sich nicht mehr alle offiziell testen lassen. Das Ende der Welle sieht sie aber nun im Frühling dennoch und für die Aufhebung der Massnahmen gibt es Argumente: In erster Linie die hohe Immunität der Bevölkerung gegen schwere Verläufe.

«In der zweiten Welle sind noch 20 von 1000 Covid-Patienten verstorben. In der jetzigen Welle um das 40-fache weniger», sagt Stadler. Dies einerseits wegen der Durchimpfung und Genesung der Bevölkerung und wegen der milderen Verläufe bei Omikron.

Ein bisschen Warnen muss aber doch sein, denn sie betont, dass Omikron nicht per se ein ungefährliches Virus sei, sondern auch zur Spitaleinweisung und zum Tod führen könne. «Würde Omikron auf eine stark ungeimpfte Bevölkerung wie in Hongkong treffen, ist die Omikron-Variante immer noch sehr gefährlich», hält Stadler fest.

Zweitbooster-Impfung wird nicht empfohlen

Seinen vermutlich letzten von vielen Auftritten hat auch der Chef der Eidgenössischen Impfkommission Ekif, Christoph Berger. Der ebenfalls oft angefeindete Infektiologe vom Kinderspital Zürich erklärt, warum in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland keine zweite Auffrischimpfung empfohlen wird – und zwar für niemanden: Der Schutz nach dreimaliger Impfung halte weiter an dank des durch die Impfung erzeugten immunologischen Gedächtnisses.

«Bei Geimpften kommt es zwar zu Infektionen, aber kaum zu Hospitalisationen und Intensivfällen», sagt Berger. Es gebe inzwischen mehrere Studien, die besagten, dass der zweite Booster keinen grossen Mehrwert gegenüber dem ersten bringe. Die Ekif empfehle den zweiten Booster somit noch nicht. Verboten ist er aber nicht. Wer sich ein viertes Mal impfen lässt macht das aber off-label, also in Absprache mit einem Arzt.

«Gut möglich, dass der zweite Booster aber im Herbst nötig wird», sagt Berger. Ob mit dem aktuellen oder einem angepassten Impfstoff sei noch nicht zu sagen. So geht es auch am letzten «Point de Presse» nicht ohne Warnung. Allerdings ist mit der Aufhebung auch noch der letzten Massnahmen aus epidemiologischer Sicht auch im April nochmals mit höheren Fallzahlen zu rechnen. Zum einen, weil die Maskenpflicht wohl fallen wird und auch die Isolation. Da ist Selbstverantwortung gefragt.

Es bleibt gemäss Stadler einiges zu tun

Gleichzeitig werden dem BAG auch wichtige Informationen zur epidemiologischen Lage fehlen, weil die Zahl der Testenden weiter zurückgehen werden. Stadler fordert deshalb, die Epidemie mit verschiedenen Werkzeugen weiterhin zu überwachen, um notfalls auch mit einem Booster schnell reagieren zu können. Auch müssten wirksame Instrumente wie Raumlüftung und Masken weiterhin präsent gehalten werden und schliesslich seien viele von Long Covid und psychischen Belastungen wegen Covid betroffen. Da müsse nun gehandelt werden.

Forderungen wird die Taskforce nun keine mehr stellen. Wissenschaftliche Forderungen, die manchmal auch an der politischen Realität gescheitert sind, aber doch sehr oft Leitlinie für den Bundesrat waren. Nicht alle haben verstanden, wenn ein Worst-Case-Szenario am «Point de Presse» vom 21. November 2021 bis zu 30’000 Hospitalisationen aufgezeigt hat. Der Worst Case ist nicht eingetreten und die Kritik wird wohl auch nach dem letzten «Point de Presse» nicht verstummen. Obwohl die Warnungen daraus, das richtige Verhalten beschleunigt haben.