Covid-Gesetz mobilisiert die Bevölkerung: Im Aargau zeichnet sich eine rekordhohe Stimmbeteiligung ab – wem nützt das?
49 Prozent in Aarau und Zofingen, 42 Prozent in Wettingen: So hoch liegt die bisherige Stimmbeteiligung für die nationalen Abstimmungen vom Sonntag. Die Werte ergeben sich aus der Zahl der bereits eingegangenen Stimmcouverts. In den grösseren Aargauer Gemeinden zeichnet sich eine überdurchschnittlich hohe Beteiligung ab. Der Trend zeigt sich nicht nur im Aargau, sondern in der ganzen Schweiz: In den Städten Luzern, St.Gallen, Bern und Zürich werden teils rekordhohe Stimmbeteiligungen erwartet.
Die hohe Stimmbeteiligung macht Prognosen unsicherer
Für den Politologen Uwe Serdült vom Zentrum für Demokratie in Aarau ist klar: Das Covid-Gesetz und die Diskussion um das Zertifikat sind der treibende Faktor für die hohe Stimmbeteiligung. «Es gehen viele Leute an die Urne, die normalerweise nicht abstimmen», so Serdült. Das mache eine Prognose über den Ausgang der Abstimmungen unsicherer:
«Je höher die Stimmbeteiligung, desto schwerer ist das Resultat abzuschätzen.»
Welcher Seite nützt die hohe Stimmbeteiligung eher? «Dass eine Überraschung wahrscheinlicher ist, nützt eher den Kräften, die gegen das Gesetz sind», erklärt Serdült. Bei Referendumsabstimmungen könne jene Seite besser mobilisieren, die in der Kampagne aktiver und präsenter sei – in diesem Falle die Gegner.
Trotzdem glaubt Serdült nicht, dass das Covid-Gesetz abgelehnt wird: «Das wäre wirklich eine grosse Überraschung.» Die Zustimmung sei immer noch gross – bei der letzten Wahlumfrage des Forschungsinstituts gfs.bern zwei Wochen vor der Abstimmung lag sie bei 61 Prozent.
Der Corona-Effekt: Seit Beginn der Pandemie gehen mehr Leute an die Urne
Politologe Serdült bestätigt, dass die Menschen durch die Coronapandemie generell politisiert wurden: «In dieser Sachfrage gibt es eine Polarisierung, die auch zu einer grösseren Mobilisierung bei Abstimmungen führt.» Wie lange dieser Corona-Effekt anhält, sei aber fraglich – das hänge auch vom weiteren Verlauf der Pandemie ab.
Färbt die höhere Stimmbeteiligung auch auf die Gemeindewahlen ab, die am 28. November in vielen Aargauer Gemeinden angesetzt sind? Nicht unbedingt, meint Serdült: «Das kann man nicht 1:1 übersetzen.» Generell sei die Stimmbeteiligung bei Gemeindewahlen teils erschreckend tief – das werde sich nun nicht komplett ändern: «Nicht alle, die durch das Covid-Gesetz mobilisiert werden, nehmen dann auch an den Wahlen teil», so Serdült. Er erwartet deshalb keine grossen Auswirkungen auf die Gemeindewahlen.
So sieht es in den grossen Aargauer Gemeinden aus
In Aarau zeichnet sich eine sehr hohe Stimmbeteiligung ab. Fast 7000 Stimmcouverts sind bis am Mittwoch beim Stadtbüro schon eingegangen – das entspricht einer Rücklaufquote von 49 Prozent. Das sei für diesen Zeitpunkt überdurchschnittlich viel, sagt Nadine Marra, Leiterin des Stadtbüros: «Bei den Abstimmungen im Juni und September lagen wir zum gleichen Zeitpunkt bei 43 bzw. 45 Prozent.» Damals sei die Stimmbeteiligung am Ende mit 65 bzw. 63 Prozent überdurchschnittlich hoch ausgefallen.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in Zofingen: Auch hier haben bis am Mittwochmorgen schon 49 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme abgegeben, nämlich 4043 Personen. Vizestadtschreiberin Catrin Friedli sagt: «Das ist wirklich aussergewöhnlich viel.» Im September sei die Beteiligung zum gleichen Zeitpunkt 9 Prozent tiefer gelegen. «Wenn man das hochrechnet, kämen wir am Schluss auf eine Stimmbeteiligung zwischen 65 und 68 Prozent. So etwas habe ich noch nie erlebt», erklärt Friedli.
Stand Dienstag sind in Wettingen schon 42 Prozent der Abstimmungscouverts eingegangen. Dieser Wert sei schon eher hoch, sagt Sandra Thut, Leiterin des Gemeindebüros: «Der Spitzenreiter der letzten Jahre war die Abstimmung über die Billag-Gebühren, damals lag die Stimmbeteiligung bei 55,6 Prozent. Es könnte sein, dass dieser Wert wieder erreicht wird.»
Diese Vorlagen lockten im Aargau besonders viele Menschen an die Urne
in den letzten 5 Jahren
Datum | Abstimmung | Stimmbeteiligung in Prozent |
---|---|---|
28.02.2016 | Durchsetzungsinitiative | 64,3 |
13.06.2021 | Pestizid-Initiative | 62,8 |
27.09.2020 | Begrenzungsinitiative | 57 |
26.09.2021 | Ehe für alle | 53,3 |
04.03.2018 | «No Billag»-Initiative | 51,8 |
Quelle: Bundeskanzlei
Auch in Rheinfelden zeichnet sich eine hohe Stimmbeteiligung ab: «Gemessen an anderen Abstimmungen ist der bisherige Rücklauf hoch», sagt Stadtschreiber Roger Erdin. Man gehe deshalb von einer überdurchschnittlich hohen Beteiligung von 50 bis 55 Prozent aus. Stand Montag sind in Rheinfelden 2782 Couverts eingegangen, was einer Stimmabgabe von 36 Prozent entspricht.
In Wohlen liegt die Stimmbeteiligung Stand Mittwoch bei 41 Prozent. Das ist leicht höher als zum gleichen Zeitpunkt im Juni – am Schluss resultierte bei der ersten Covid-Gesetz-Vorlage eine Stimmbeteiligung von rund 54 Prozent. Man könne davon ausgehen, dass diesmal eine ähnlich hohe oder noch höhere Stimmbeteiligung erreicht werde, heisst es von der Gemeinde.
Stand Mittwochmorgen sind in Brugg knapp 40 Prozent der Abstimmungscouverts eingegangen. Was dies für die Stimmbeteiligung vom Sonntag heisse, könne man nicht beurteilen, teilt Stadtschreiber Matthias Guggisberg mit.
Von den Behörden in Baden und Lenzburg heisst es, man könne zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Angaben zur Stimmbeteiligung machen.