Heimliche Frauenpower: Das andere Gesicht des Iran ist weiblich
Junge Frauen im Iran, ihre Proteste sind seit dem 19. September nicht mehr zu überhören. Sie skandieren auf den Strassen: «Nieder mit der Diktatur.» Und in kurdischer Sprache: «Jin, Jîyan, Azadî», auf Deutsch «Frau, Leben, Freiheit». Die Revolutionsgarde wendet täglich noch brutalere Gewalt an, doch die Frauen kämpfen weiter.
Wofür sie kämpfen, zeigen die Bilder der 24-jährigen Fotografin Forough Alaei aus Teheran, die ihre Familie und Freundinnen porträtiert: Die Frauen fordern gleiche Chancen, gleiche Rechte – und ein unbeschwertes Leben, wie es Menschen im Westen führen. Denn im Gegensatz zu ihren Eltern, die noch ideologisch geprägt waren und ihre Freizeit getrennt verbrachten, gehen Alaeis Freundinnen und ihre Freunde gemeinsam aus.
Mullahs kontrollieren das Leben auch im Gebirge
Sie bevorzugen dafür bestimmte Orte in Teheran, Cafés und Parks; oder dann nutzen sie den Urlaub am Kaspischen Meer. Wieder andere reisen zwischen November und Mai aus der Stadt ins Elburs-Gebirge, nur eine halbe Stunde Autofahrt nördlich von Teheran.
Es ist vor allem «die goldene Jugend», die hier Ski fährt und auf den Pisten Musik hört, wobei: Tanzen dürfen nur die Männer, den iranischen Frauen ist es untersagt. Auch hier, auf 3000 Metern über Meer, wachen die Mullahs über das von ihnen verhängte, rigide Sittengesetz.
Forough Alaei schreibt über diese Fotos: «Die Revolutionsgarde toleriert diese Wintersportorte, als seien sie ein notwendiges Übel, ein westliches Ventil, mit dem man sich aber abfindet, weil sie sporadisch Sauerstoff in eine Bevölkerung pumpen, die an Konflikten, Entbehrungen und Spannungen erstickt.»
Die Dokumente von Forough Alaei über das Leben der iranischen Frauen und ihre Sehnsucht, die sich von der unseren nicht unterscheidet, sind nun zum ersten Mal in einer Museumsausstellung zu sehen. In der Photobastei Zürich zeigt der Verein «Der andere Blick» über 40 Bilder aus den letzten drei Jahren, die aktuellsten Dokumente sind nur wenige Wochen alt.
Gefangene in ihrer eigenen Heimat
Alaei war an der Vernissage erwartet worden, Interviews wollte sie in der Schweiz keine geben, sie fürchtete um ihr Leben. Dann wurde in den letzten Tagen die Gefahr in ihrer Heimat so bedrohlich, dass sich die Ausreise zerschlug. Forough Alaei, die wie Gleichaltrige auf den Strassen demonstriert, soll bisher unbeschadet sein. Ihre Website hatte sie bereits im September vom Netz genommen.
Die Fotografin arbeitete für die bekannteste Wirtschaftszeitung des Landes. Für ihre Fotoserie «Crying For Freedom» über eine fussballbegeisterte 22-jährige Frau, die sich als Mann verkleiden muss, um sich ein Fussballspiel ansehen zu dürfen, wurde sie 2019 verhaftet. Die Fotowelt zeichnete die Bilder mit dem wichtigsten Preis aus, den sie zu vergeben hat, dem World Press Award.
Alaei nennt ihre Ausstellung «The Other Face of Iran». Denn eines ist ihr wichtig, schrieb sie in einem Brief, der an der Ausstellungseröffnung verlesen wurde: Ihre Heimat hat nicht nur das rückwärtsgewandte Gesicht der Mullahs. Mit der jungen Generation stehe das Land vor einer grossen Veränderung. Neue Vorbilder, ein moderner Lifestyle, gewachsenes Selbstbewusstsein – für Alaei sind ihre Bilder «ein kleines Fenster in ein neues Iran». Und dieses Land existiert nicht in der Zukunft, sondern in der Gegenwart.