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Verliebt in Charles, es soll nur keiner merken: Die Deutschen haben einen neuen Lieblingsbriten

Als erster Monarch der Geschichte hat der König im deutschen Parlament gesprochen. Sein Auftritt zeigte, wie nah und doch wie fern sich Deutsche und Briten sind. 

Der Deutsche Bundestag ist trotz aller weihevollen Reden vom «Hohen Hause» und vom «Herzen der Demokratie» ein nüchterner Ort. Am Donnerstag erörterten die Abgeordneten einen Inflationszuschuss im Gesundheitswesen und den Bundeswehreinsatz im Südsudan, bevor die graue Routine um 12 Uhr mittags feierlich unterbrochen wurde: Der britische König Charles III. betrat den Plenarsaal.

Der Monarch war zu Gast bei Freunden. Das war in diesem Fall durchaus wörtlich zu verstehen, denn kaum irgendwo auf dem Kontinent ist die Begeisterung für das britische Königshaus grösser als in Deutschland, auch wenn die Zeitungen des Landes oft einen Ton dezenter Ironie anschlagen, wenn es um die Royals geht; so, als schämten sie sich ihrer Lust am unrepublikanischen Pomp. Man ist verliebt, es soll nur keiner merken.

In Paris brannten die Barrikaden

Natürlich konnten auch die üblichen Hinweise auf die deutsche Abstammung des Königs nicht fehlen, wobei das Deutscheste an Charles, abgesehen von seinem milden Esoterikertum, wohl sein Interesse an ökologischen Fragen ist. Bereits mit einundzwanzig, so lobte die «Süddeutsche Zeitung», habe der damalige Kronprinz in einer Rede die Frage gestellt, ob man sich angesichts dräuender Umweltkatastrophen nicht disziplinieren und Einschränkungen auferlegen müsse. Die Frage, welche Einschränkungen er selbst sich auferlegt hat, blieb unbeantwortet.

Es war Charles’ erste Auslandsreise als König; dass diese ihn nur deswegen nach Berlin führte, weil in Paris die Barrikaden brannten, war zum Zeitpunkt seiner Rede bereits gnädigem Vergessen anheimgefallen. Der Monarch gab seinen Gastgebern das Gefühl, als bestehe zwischen Deutschland und Grossbritannien tatsächlich einespecial relationship.

Soft powersagen die Amerikaner jener Fähigkeit, kulturelle Anziehungskraft in politischen Einfluss umzumünzen; die Regierung von Premierminister Rishi Sunak wusste schon, weshalb sie den König drei Jahre nach Vollzug des Brexits auf Grand Tour in die wichtigsten Hauptstädte des Kontinents schickte. Ein «Bekenntnis zu Europa» wollte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» darin sehen.

Es war das erste Mal überhaupt, dass ein Monarch im Bundestag redete; für Charles war es allerdings bereits der zweite Auftritt im deutschen Parlament, denn 2020 hatte er hier zum Volkstrauertag gesprochen, an dem die Deutschen der Toten der beiden Weltkriege gedenken.

Wie fremd sich Deutsche und Briten trotz aller Nähe sind, zeigten die Reden, die Bärbel Bas, die Präsidentin des deutschen Parlaments, und der König am Donnerstag hielten. In Bas’ matt-konventioneller Ansprache tauchten grösstenteils die üblichen Versatzstücke auf, vom Zweiten Weltkrieg über den britischen Beitrag zur Befreiung Europas und die anschliessende Versöhnung bis zu den grossen Herausforderungen unserer Zeit, dem Krieg in der Ukraine und dem Klimawandel.

Ein lustvollerer Zugang zur Geschichte

Charles (oder seine Redenschreiber) offenbarten einen weiteren historischen Horizont: Bei ihm spielten auch die deutschen Hansestädte eine Rolle, deren Schiffe im Mittelalter englische Gestade anliefen; der Komponist Georg Friedrich Händel, der als Deutscher geboren wurde und als Brite starb; der romantische Maler William Turner und seine Rhein-Reisen und die weltweit erste Shakespeare-Gesellschaft, die 1864 nicht etwa in England, sondern in Weimar gegründet wurde.

Stellenweise wirkte Charles’ abwechselnd auf Deutsch und auf Englisch vorgetragene Tour d’Horizon ein wenig überladen, doch zeichnete sie sich durch einen lustvolleren, weniger schweren Zugang zur Historie aus als die prosaische Ansprache seiner Vorrednerin. So wurden all jene Deutschen, die darüber klagen, das britische Interesse an der gemeinsamen Geschichte beschränke sich auf dieBattle of Britainund die Schlacht von Ypern, wenigstens an diesem Tag widerlegt.

Die Abgeordneten verabschiedeten den König mit stehenden Ovationen. Nach einer kurzen Pause stand bereits der nächste Programmpunkt an: «Strukturwandel in der Lausitz – Kohleausstieg». So fand die Bundesrepublik zurück zu sich selbst.

Zufriedene Gastgeberin: Die deutsche Parlamentspräsidentin Bärbel Bas und ihre Kollegen verabschieden den König mit stehenden Ovationen. 
Bild: Markus Schreiber/AP