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Ein Kanzler-«Quadrell» mit seltsamen Schweiz-Bezügen

Eine Woche vor der Bundestagswahl in Deutschland trafen sich die Spitzen der vier grössten Parteien zur Fernsehdebatte. Der Erkenntnisgewinn war bescheiden, und davon profitiert vor allem einer.

Als ARD und ZDF am letzten Sonntag ein Duell mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz durchführten, mangelte es nicht an Kritik. Es sei ein Format im Stil der alten Bundesrepublik, das nicht zur heutigen Politiklandschaft passt, hiess es. Diese ist unübersichtlicher als in den Zeiten des «Dreiklangs» von CDU/CSU, SPD und FDP.

Bei RTL/n-tv liess man sich die Gelegenheit nicht entgehen und erweiterte das ebenfalls geplante Duell zum «Quadrell» mit Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD). Alle vier bewerben sich bei der Bundestagswahl am nächsten Sonntag für das Kanzleramt. Die Ausgangslage war spannend, vor allem angesichts der unterschiedlichen Charaktere.

Das Fazitnach der zweistündigen Debatte zur Primetimeaber ist eher ernüchternd. Allen Vieren gelangen vereinzelte Treffer, doch oft keilten sie gegeneinander und verloren sich in mühsamer Erbsenzählerei. Das lag nicht zuletzt am Moderatoren-Duo: Pinar Atalay und Günther Jauch waren nicht auf der Höhe von Maybrit Illner und Sandra Maischberger.

Jauch und sein Schweiz-Fimmel

Vor allem Jauch war eine Enttäuschung. Ein Tiefpunkt war sein penetranter Versuch, Alice Weidel auf ihre Schweiz-Conncetion festzunageln. Ist sie wirklich in Deutschland gemeldet? Ja, auch ihre Frau und die beiden Kinder. Versteuert sie alle Einkünfte in Deutschland? Ja, betonte Weidel nicht weniger als dreimal. Ist sie Doppelbürgerin? Nein.

Wenn Günther Jauch damit versuchte, das Image der AfD-Kanzlerkandidatin als deutsche Superpatriotin anzuzweifeln, ist ihm das gründlich misslungen. Es war nicht der einzige seltsame Schweiz-Bezug in der Sendung. Beim Thema Wohnungsnot wurde im Hintergrund das Foto der Warteschlange vor der Zürcher Überbauung Kronenwiese eingeblendet.

Wenn es um das Thema Wohnungsnot geht, setzt RTL auf Zürich: Gigantische Schlange von Wohnungssuchenden bei der Besichtigung der Wohnungssiedlung Kronenwiese im Zürcher Quartier Unterstrass 2016.
Walter Bieri / KEYSTONE

Ade Wirtschaftswunder?

Ein Highlight immerhin konnte Jauch platzieren, als er im Stil seines Dauerbrenners «Wer wird Millionär?» nach dem Prozentanteil der deutschen Beamten fragte, die bis zum ordentlichen Rentenalter arbeiten. Es sind ganze 20 Prozent, was nur Olaf Scholz wusste. «Wenn das Schule macht, ist das deutsche Wirtschaftswunder erst recht Geschichte», meinte Jauch.

Die schwierige Lage der deutschen Wirtschaft war neben der Migration das Hauptthema des Quadrells. Sie sind die grösste Sorge der Wählerinnen und Wähler. Doch niemandem aus dem Quartett gelang ein überzeugender Auftritt oder auch nur ein zündender Moment. Zeitweise fragte man sich als unbeteiligter Zuschauer, was das eigentlich sollte.

So haben sich die vier Teilnehmer geschlagen:

Olaf Scholz (SPD)

Das ARD/ZDF-Duell mit Friedrich Merz hatte der Bundeskanzler laut einer Blitzumfrage knapp gewonnen. Und doch hatte Scholz keine gute Woche, mit der «Hofnarr»-Kontroverse und dem neusten Terroranschlag in München. Nun sind dem Hamburger Selbstzweifel eher fremd, und entsprechend trat er im Quadrell auf: Angriffig und zeitweise fast schon witzig.

Einmal mehr zeigte sich: Dem oft drögen Scholz liegt das Debattenformat. Darin blüht er auf, vor allem im «Nahkampf» mit Merz und Weidel. «Wir haben von ihnen nichts gehört ausser heisser Luft», blaffte er die AfD-Chefin an. Emotional wurde er, als er sich stolz darüber zeigte, dass in seiner Amtszeit der Niedriglohnsektor in Deutschland stark geschrumpft sei.

Robert Habeck (Grüne)

Als Vizekanzler und Wirtschaftsminister der gescheiterten Ampel-Regierung befindet sich Habeck in einer schwierigen Lage. Seine Grünen kommen in den Umfragen nicht vom Fleck. Zumindest bezüglich Sympathie konnte er am Sonntag punkten. Er übertraf in der RTL-Nachbefragung seine Mitstreiterin und die beiden Mitstreiter deutlich.

Inhaltlich aber tat sich Robert Habeck schwer, mit seinem Hang zu philosophischen Exkursen zur Geltung zu kommen. Die pessimistische Sicht vieler Deutscher auf die Wirtschaft kommentierte er mit dem Satz «Wir sollten aufhören, rumzuheulen». Einzig bei seinem Kernthema Klimaschutz konnte er im Clinch mit Friedrich Merz aufblühen.

Der klare Sieger? Friedrich Merz konnte die Fernsehzuschauer offenbar überzeugen.
Bild: Kay Nietfeld / EPA

Friedrich Merz (CDU/CSU)

Die Union liegt in den Umfragen seit Monaten deutlich in Front. Deshalb ging es für Merz nur darum, «keine grossen Fehler zu machen», wie der «Spiegel» festhielt. Das ist ihm gelungen. Seine Performance war solide, aber nicht überragend. Ein Sympathieträger wird der CDU-Chef nicht mehr, aber es gelang ihm, sich staatsmännisch zu inszenieren.

Die besten Momente hatte er ganz am Anfang und am Ende des Quadrells. «In vier Tagen kommen so viele Leute, wie wir in einem Monat abschieben», rieb er den Ampel-Vertretern beim Thema Migration unter die Nase. Sein «Flirt» mit der AfD hatte viele empört, doch in seinem Schlusswort betonte Merz klipp und klar: «Mit der AfD ganz sicher nicht.»

Alice Weidel (AfD)

Das Format war für die AfD-Kanzlerkandatin eine grosse Chance, um sich dem Wahlvolk als verantwortungsbewusste Politikerin zu empfehlen. Es ist ihr misslungen. Alice Weidel schaffte es nie, ein klares Profil zu entwickeln. Mit der Lobhudelei auf Donald Trump, den sie zum Friedenstifter in der Ukraine hochjubelte, dürfte sie selbst Anhänger irritiert haben.

Die Rezepte der Ökonomin in der Wirtschaftspolitik wirken von gestern («zurück zum Verbrenner»). Das Quadrell machte deutlich, wie isoliert Weidel und ihre Partei in der deutschen Politik sind, und das liegt nicht nur an rechtsextremen Positionen und Personen wie Björn Höcke. Sondern auch an einem Programm, das nur die Kernklientel begeistert.

Das sagt die Nachbefragung

Die RTL-Nachbefragung ergab ein klares Bild: Friedrich Merz wurde von 32 Prozent als Sieger beurteilt. Olaf Scholz folgte mit respektablen 25 Prozent, die aber für eine echte Trendwende nicht reichen werden. Robert Habeck und Alice Weidel waren abgeschlagen. Noch deutlicher «siegte» Merz mit 42 Prozent bei der Frage nach den Führungsqualitäten.

Wenn nicht etwas Verrücktes geschieht, ist die Bundestagswahl gelaufen, und der neue deutsche Bundeskanzler heisst Friedrich Merz. Mit wem er regieren wird, bleibt offen. Mehr wissen wir am nächsten Sonntag um 18 Uhr.