DSDS – das Dampfschiff der deutschen Trash-Unterhaltung verlor mit Florian Silbereisen an Fahrt. Jetzt übernimmt der alte Kapitän auf dem letzten Meter
Deutschland sucht keinen Superstar mehr. Also zumindest nach dem kommenden Sommer, dann ist nach 20 Jahren Schluss mit der Castingshow, wie der Sender RTL bekanntgegeben hat.
Als am 9. November 2002 der Ableger des britischen «Pop Idol» auch in Deutschland über die Bildschirme flimmerte, war die Welt eine andere: Donald Trump unterstützte die Demokraten. Der Euro war seit einem Jahr offizielles Zahlungsmittel. In der Schweiz ging soeben die Expo.02 zu Ende.
Und über eine ganze Generation von Jugendlichen war endgültig die Welle des Reality-TVs geschwappt: mit Menschen, die dabei gefilmt werden, wie sie sich daten, gemeinsam einsperren oder auf einer Insel aussetzen lassen – oder eben vor einem Millionenpublikum ihre Gesangskünste unter Beweis stellen.
Mit viel Anstand gibt’s wenig Quote
Die am ehesten familientaugliche Sendung, ebenso wie «Wetten, dass..?» dazu prädestiniert, eine samstagabendliche Lagerfeuermentalität zu kultivieren, wurde DSDS. Schliesslich ging es da theoretisch um Musikalität, Leistung, Erfolg – zumindest konnte man das Vati und Mutti als Werte verkaufen.
Doch da anständiges Benehmen noch selten Quote gemacht hat, musste dennoch eine Krawallinstanz her und wer wäre dazu besser geeignet gewesen als Dieter Bohlen. Der frühere Sänger der Fleisch gewordenen Geschmacklosigkeit Modern Talking hatte sich nicht nur als äusserst erfolgreicher Produzent und Songschreiber einen Namen gemacht, sondern geisterte mit seinen Frauengeschichten («Teppichluderaffäre») regelmässig durch die Klatschblätter.
Im Fernsehen durfte der Poptitan als Juryvorsitzender von DSDS verschreckten, pickligen Teenagern oder Dusch-Pavarottis mit zu viel Selbstbewusstsein ordentlich Feedback um die Ohren hauen: «Wo hört der Gesang auf und wo fängt die Straftat an?» war noch eine der harmloseren Einlassungen.
Häufig wurden die bedröppelten Gegenüber schlicht mit der untersten Schublade des rhetorischen Baukastens abgekanzelt: «Wollt ihr wissen, was der Unterschied zwischen eurer Stimme und ’nem Eimer Scheisse ist? Der Eimer!»
Dass die Häme der wandelnden Camp-David-Werbetafel essenzieller Teil der Sendung war, wurde endgültig klar, als Bohlen 2021 plötzlich von RTL verbannt wurde. Das Steuerrad übernahm ausgerechnet Florian Silbereisen, «Traumschiff»-Kapitän und Lieblingsschwiegersohn aus der fröhlichen Parallelwelt des deutschen Schlagers.
Seither hat sich das Niveau der Sendung zwar massiv verbessert – Silbereisen befragt seine Zöglinge so liebevoll-zugewandt, als käme er frisch vom Lehrerseminar. Erwartbar gegenläufig zur Niveausteigerung entwickelte sich aber die Quote. Die Versuche von RTL, das Format von toxischer Männlichkeit zu befreien und ihm Empathie» einzuimpfen, scheiterte.
Wirkliche Superstars hat das Format ohnehin nie produziert – immerhin verdankt Beatrice Egli der Show ihre Schlagerkarriere und auch Luca Hänni würde ohne sie keine Klatschspalten füllen. Das Format zu beenden, ist darum richtig. Bohlen als Retro-Saurier nochmals herumpoltern zu lassen, die letzte Chance.