Die Drecksarbeit der Superhelden: Hier wird frisches Gemüse zur wohl ekligsten Suppe
Sich einmal im Leben fühlen, als würde man wie eine Superheldin fliegen? Mit Stahlkappenschuhen, orangen Arbeitshosen und Handschuhen ist auf dem Trittbrett der Müllabfuhr in Bremgarten mein Superheldinnen-Moment gekommen. Auf dem A4-Papier-grossen Trittbrett zu stehen, ist einfach. Dort hochzukommen, fühlte sich, je länger der Tag dauerte, desto mehr wie ein Alpinklettersteig an. Hallo Muskelkater.
Mein Tag bei der Voegtlin-Meyer Entsorgung hat aber nicht auf dem Trittbrett, sondern in der Halle im Bremgarter Industriegebiet begonnen. Dort treffen sich die 17 Arbeiter jeden Tag, bevor sie ihre Route im Freiamt starten. Pro Fahrzeug sind zwei Belader und ein Chauffeur auf der Tour.
Bei der Müllabfuhr in Bremgarten arbeiten keine Frauen, ausser an diesem Morgen, als ich in den Pausenraum in der Halle komme. Heute bin ich keine Journalistin, heute bin ich Müllfrau.
Kein Problem mit Maden, dafür mit dem Akku
Unsere geplante Route führt durch Bremgarten-West, Altstadt, Industriezone und schliesslich nach Hermetschwil. Bis zur Znünipause leeren wir in den Quartieren etliche Container. Zur Abwechslung gibt es mal ein paar Säcke mit Maden. Immerhin hat meine verstopfte Nase ein gutes Timing. Doch die Maden sind an diesem Tag nicht das Hauptproblem, sondern die Batterie des elektrischen Müllfahrzeugs.
Denn das Fahrzeug hat in der letzten Nacht nicht richtig geladen. Statt einer vollen Batterie waren um 9 Uhr nur noch etwa 40 Prozent Akku vorhanden. Die Znünipause wurde zur Zwangs-Ladepause. Eine halbe Stunde später hat das Fahrzeug 1 Prozent mehr Akku. Für mehr reicht es nicht, denn die nächsten Abfallcontainer warten.
Belader Mitch Joss hat die Route auswendig im Kopf. Seinen Adleraugen entgeht kein Container oder Güselsack. Und das, obwohl es scheint, als würden die Leute manchmal mit den Beladern «Versteckis» spielen. Ihre Müllsäcke positionieren sie in grünen Tonnen, die eigentlich für die Grünabfuhr gedacht sind. Andere legen ein grosses Tuch drauf. Immerhin schützt das vor Krähen und Maden.
Recycling scheint bei manchen ein Fremdwort zu sein
Ob Glas, frisches Gemüse, Katzensand oder Windeln: Im Abfall landet alles. Auch das, was nicht sollte. Was Recycling ist, scheinen viele in Bremgarten nicht zu wissen, wie ein Blick in die Wanne des Entsorgungsfahrzeugs zeigt. Frisches Gemüse der Migros schwimmt nach der Müllpresse in einer ekligen Gemüsesuppe. Beim Anblick würde sogar der Suppenlöffel flüchten.
Als später eine nicht einzuordnende Flüssigkeit an mein Gesicht spritzt, würde ich mich gerne in eine Autowaschanlage stellen. Doch es bleibt mir nichts anderes übrig, als mit meinem Ärmel kurz über die Stirn zu fahren. Für alles andere bleibt keine Zeit.
Nach der Ladepause funktioniert die Müllpresse plötzlich nicht mehr. Normalerweise drückt der Belader nach jedem Container den grünen Knopf, um die Presse zu aktivieren. Doch das ganze Fahrzeug macht keinen Wank mehr. Chauffeur Gregor Baskovic schaltet das Entsorgungsfahrzeug ab und trennt es vom Strom.
«Jetzt haben wir eine 15-minütige Strafpause», sagt Mitch Joss. Die Stimmung ist schlechter als der Gestank der Abfallsäcke. «So ein kleiner Sensor kann einem den Tag vermiesen», sagt er weiter. Nach der Strafpause funktioniert die Presse immer noch nicht.
Einzig die Herstellerfirma Contena-Ochsner in Urdorf kann weiterhelfen. Deshalb geht es nun anstatt in die Altstadt nach Urdorf. Nach fünf Minuten funktioniert alles wieder. Das alles wiederholt sich alle paar Wochen, wie der Belader sagt.
Über 1500 Tonnen Kehricht im Jahr
Die Fahrt zurück wird ein Rennen gegen die Zeit. Denn der Akku des E-Abfallfahrzeugs wird immer leerer. Immerhin können wir bei der Abfahrt vom Mutschellen 1 Prozent Akku einsparen.
In der Bremgarter Altstadt geht es mit Abfallsäcken weiter. Chauffeur Gregor Baskovic schlängelt sich durch die Gassen, und Mitch Joss sammelt mit mir zusammen die Säcke ein. Bei einigen Säcken ist besondere Muskelkraft nötig. Die leider bei mir nicht vorhanden ist. Ich lächle die Anstrengung weg.
Pro Jahr sammelt die Voegtlin-Meyer Entsorgung rund 1500 Tonnen Haushaltskehricht in Bremgarten ein. Pro Route sind es 12 bis 20 Tonnen. Auf unserer Strecke schaffen wir nicht ansatzweise so viel und müssen gar den letzten Routenabschnitt nach Hermetschwil an ein anderes Team übergeben.
Das liegt nicht an meinem Einsatz, sondern an den technischen Problemen, versichert Mitch Joss. Obwohl er mir verrät, dass er dachte, ich würde es nicht länger als bis um 9 Uhr schaffen. «Bei mir haben schon ein Bodybuilder und Handballspieler die Schraube gemacht», erzählt er.
Beim Feierabendbier fragt Mitch Joss dann, ob ich am Montag fest bei ihnen anfange. Für einen Moment bleibe ich noch beim Journalismus, aber den Job einer Vollzeit-Superheldin schlage ich für meine Zukunft nicht aus.