Die Wiedergeburt der Trenn- und Verbotskultur
Als äusserst selten leserbriefschreibender, aber durchaus kritisch denkender Zeitgenosse hat mir das Thema «kulturelle Aneignung» in den letzten Tagen einiges Kopfzerbrechen bereitet.
Kurz zur Vorgeschichte: In einer Berner Szene-Beiz spielte die Reggae-Combo «Lauwarm» auf, weisse Musiker, zum Teil mit zum Musikstil passenden Dreadlocks und luftiger karibischer Kleidung. Während der Show fühlten sich plötzlich einige Zuhörer «unwohl» – und nach deren Intervention beim Veranstalter wurde das Konzert abgebrochen. Der Grund für das Unwohlsein war die Tatsache, dass sich die Musiker anmassen, als weisse, privilegierte Menschen Dreadlocks zu tragen und Reggae zu spielen. Nach der Vorstellung der Aktivisten im Publikum dürfen das nur schwarze Menschen tun. Weisse seien per se Rassisten und dürfen sich nicht an der Kultur der von ihnen unterdrückten Völker vergreifen.
Mutige, engagierte Menschen haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für eine offene, liberale, auch multikulturelle Gesellschaft eingesetzt. In Europa und auch anderswo haben sich Pressefreiheit, Rede- und Religionsfreiheit etc. durchgesetzt. An Schulen und Universitäten wird das freie Denken und Argumentieren gelehrt.
In letzter Zeit ist eine Gegenbewegung zu beobachten. Aus der Gruppe der oben erwähnten mutigen, engagierten Menschen haben sich sogenannte Aktivisten abgekoppelt, welche versuchen, die erreichten Freiheiten rückgängig zu machen. Die Menschen werden wieder in Raster gesteckt, Hautfarbe, Rasse, soziale Herkunft oder sexuelle Orientierung werden wieder als trennende Faktoren wahrgenommen. Eine überwunden geglaubte Trenn- und Verbotskultur erlebt eine Wiedergeburt.
Wer genau hinschaut erkennt jedoch, dass die radikalen, aggressiv und fordernd auftretenden Aktivisten eine kleine Minderheit darstellen, welche aber in den Medien eine enorme Präsenz beansprucht. Es braucht jetzt wieder mutige Menschen mit Augenmass, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. Unsere Gesellschaft soll offen bleiben für freies Denken und Handeln. Wenn Frisuren, Kleidung oder Musikstile für Unwohlsein sorgen, sind wir auf dem falschen Dampfer.
Ein Gedanke zum Schluss: Darf Philipp Fankhauser Blues spielen? Darf Steffe la Cheffe rappen? Ich sage mit grösster Überzeugung ja!
Hans Burgherr, Hintermoos