Sie sind hier: Home > Doku > Schule geht auch anders – und wie!

Schule geht auch anders – und wie!

«Bratsch – Ein Dorf macht Schule» zeigt eine andere Form des Unterrichts: Hier formt sich aus der Praxis die Theorie.

Dieser Film haut einen um. Nicht weil er umwerfend Neues erzählt, sondern weil er es so hinreissend praxisnah, überzeugend und berührend macht. Konfuzius wusste schon vor zweieinhalbtausend Jahren: «Was Du mir sagst, vergesse ich / Was Du mir zeigst, daran erinnere ich mich / Was Du mich tun lässt, das verstehe ich.» Das ist einer der Grundsätze, nach denen die Schule im kleinen Walliser Bergdorf Bratsch seit sieben Jahren funktioniert – und dabei wächst und wächst.

2015 begannen Damian Gsponer und Natascha Würsten mit 17 Schülerinnen und Schülern, heute sind es über 80. Und auf der Warteliste stehen mehr als hundert weitere, die diese Privatschule auch besuchen möchten. Was ist da so anders? Es gibt keine Noten, keine isolierten Fächer, keinen klassischen Unterricht, weder Belohnung noch Strafe. Man schaut nicht auf die Defizite der Kinder, sondern fragt: Was interessiert dich? Worin bist du gut? Schule und reales Leben sind nicht getrennte Welten, die Themen ergeben sich direkt aus der Lebenswirklichkeit der Kinder. Ähnliche Reformversuche gibt es seit über hundert Jahren an vielen Orten. Hier erlebt man hautnah, wie das funktionieren kann.

Die Kinder stehen im Zentrum

In seiner Langzeitbeobachtung «Bratsch – Ein Dorf macht Schule» begleitet der Schweizer Dokumentarfilmer Norbert Wiedmer dieses Schulprojekt über sechs Jahre. Wir sehen, wie sich die Kinder selber für ein Projekt entscheiden können, das sie am meisten interessiert: Einen neuen Spielplatz gestalten? Einen Garten anlegen? Ein Schullager planen? Fünf Kinder mit ganz unterschiedlichen Ausprägungen lernen wir dabei näher kennen und gewinnen sie buchstäblich lieb in ihrer ganzen Offenheit, ihrem anhaltenden Enthusiasmus, ihrer Berührbarkeit – und in ihren Krisen. Wir sehen sie wachsen.

Der Schweizer Dokumentarfilmer Norbert Wiedmer (* 1953) ist ein Meister seines Fachs. Er hat mehr als ein Dutzend Filme gedreht und die Drehbücher dazu geschrieben. Für «Schlagen und Abtun», einen Film über den archaisch-bäuerlichen Sport des Hornussens, gewann er im Jahr 2000 den Schweizer Filmpreis für den besten Dokumentarfilm. Es folgten ein Porträt zum grossen Schauspieler Bruno Ganz (2004), der visionäre Fussballfilm «Meisterträume» (2010), einige Jahre vor der YB-Meister-Serie ab 2018, und als bisher letzter Film «Mitten ins Land» (2015), mit Pedro Lenz als Cicerone. «Bratsch – Ein Dorf macht Schule» soll nun, wie es heisst, sein allerletzter Film sein. Das Berner Kino Rex zeigt im Februar eine Retrospektive zum Schaffen von Norbert Wiedmer mit dreizehn seiner Filme.

Im Zentrum stehen nicht die Lehrpersonen, sondern die Kinder. Sie entwerfen verschiedene Modelle für den Hühnerstall und entscheiden selber, welches ihnen am besten gefällt. Sie leiten die Sitzung mit dem Gemeinderat, der das Bauvorhaben bewilligen muss. In der Bearbeitung ihrer Praxis-Projekte erwerben die Kinder ganz viel Hintergrundwissen. Und vergessen darüber glatt die Pausen. Sie geben älteren Erwachsenen aus dem Dorf Unterricht in E-Banking und Handy-Bedienung. Anders als zum Beispiel an den Steiner-Schulen bestehen in Bratsch keinerlei Berührungsängste mit neuen Technologien. Der clevere Gabriel sagt es so nüchtern wie selbstbewusst: «Im digitalen Bereich sind wir als Schule weit voraus.»

Die Lernunwilligkeit der öffentlichen Schulen

In der Wirtschaft, meint Lehrer Gsponer, würde ein solches Monopol, wie es die Staatsschulen ausüben, nicht überleben. Dort seien Innovationen unabdingbar. Warum sträuben sich die öffentlichen Schulen, von solchen Modellen, die offensichtlich gut funktionieren, zu lernen? Warum werden diese Initiativen nicht einbezogen in die öffentliche Finanzierung? Man habe den Eindruck, sagt die Lehrerin Natascha Würsten, die Behörden hätten es lieber, wenn es sie gar nicht gäbe.

Schule geht uns alle an, nicht nur Kinder, Eltern, Pädagogen und Politiker. Schule ist gelebte Zukunft. Dort entscheiden sich die grossen Fragen von Selbstwirksamkeit und Neugiererhalt, von Inklusion und Exklusion. Es ist diesem überaus ehrlichen und authentischen Film zu wünschen, dass er Anlass bietet für eine breite gesellschaftliche Diskussion.