Sie sind hier: Home > Parteipolitik > Politologe Claude Longchamp über die Mitte-Partei: «Sie droht sich aufzulösen»

Politologe Claude Longchamp über die Mitte-Partei: «Sie droht sich aufzulösen»

Die Mitte will die Schweiz zusammenhalten, wie sie in ihrem Slogan schreibt. Doch am Sonntag verlor sie gleich drei Abstimmungen. Es ist unklarer denn je, welchen Weg sie geht.

«Wir müssen dringend über die Bücher», sagte Mitte-Präsident Gerhard Pfister nach den Abstimmungen am Sonntag. Er war sichtlich zerknirscht. Seine Partei hat gleich drei Mal verloren: Sowohl beim Mediengesetz als auch beim Tabakwerbeverbot und der Abschaffung der Stempelsteuer hat die Mitte am Volk vorbeipolitisiert.

Und das, obwohl sich die Partei als Mehrheitsmacherin versteht. «Wir halten die Schweiz zusammen», lautet ihr Slogan. Und der Mitte-Präsident Pfister hatte bei seinem Amtsantritt gesagt: «Ich werde alles tun, was der Partei Erfolg bringt.» Dafür war die Ausgangslage 2019 ideal.

Die Kräfteverhältnisse im Parlament hatten sich verschoben, SVP und FDP wurden geschwächt und die Linke gestärkt – davon profitierte die CVP. Seither kann sie nicht nur mit der SVP und der FDP Allianzen schmieden, sondern auch Mitte-Links-Mehrheiten bilden. Zudem hielt sie ihren grossen Einfluss im Ständerat aufrecht.

SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer rügt die Mitte

Trotzdem ging sie am letzten Sonntag als grosse Verliererin der nationalen Abstimmungen hervor. Es hagelt Kritik. So bezeichnet SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer die Mitte-Partei als einen unzuverlässigen Allianz-Partner. Zuerst habe die Mitte das Mediengesetz aufgebläht und sich danach aus dem Abstimmungskampf verabschiedet. «So lässt sich schlicht nicht zusammenarbeiten», schreibt Meyer auf Twitter.

Die Mitte-Partei, die grosse Verliererin? Die staatstragende Partei scheint an Wirkung zu verlieren. Das wollen ihre Exponentinnen und Exponenten allerdings nicht wahrhaben. Jedenfalls nicht öffentlich. So sagt der Chef der Mitte-Fraktion, Philipp Matthias Bregy: «Die Mitte ist weiterhin die erfolgreichste Partei bei Abstimmungen in der laufenden Legislatur. Daran ändert auch der Sonntag nichts.»

Mitte-Fraktionschef Bregy betont den Erfolg von Zürich

Er weist zudem darauf hin, dass die Mitte in Zürich erstmals seit vier Jahren wieder im Gemeindeparlament vertreten ist und auch bei den Regierungsratswahlen in Glarus und Thurgau einen Sieg verbuchen konnte. Allerdings wurden in Glarus nur die bestehenden Regierungsräte wiedergewählt, notabene ohne Gegenkandidaten. Im Thurgau wurde ebenfalls nur ein Abgang ersetzt, es fand kein Wahlkampf statt.

Dass sich seine Partei in einer schwierigen Lage befindet, streitet Bregy trotzdem ab. «Vergessen wir nicht, das Mediengesetz trägt die Handschrift von SP-Bundesrätin Sommaruga, die Stempelsteuer basiert auf einem Vorstoss der FDP. Die Verantwortung nun der Mitte zuzuschieben, ist viel zu einfach», so der Walliser. Sein Fazit: «Abstimmungsniederlagen gehören in einer direkten Demokratie einfach dazu.»

Candinas: «Das Medienpaket war wohl überladen»

Etwas selbstkritischer zeigt sich Mitte-Nationalrat Martin Candinas. Beim Medienpaket habe man vielleicht zu sehr nach Kompromissen gesucht, sich zu sehr an Mehrheiten orientiert. «Genau weil wir uns als Mehrheitsmacherin verstehen, war das Medienpaket am Schluss wohl überladen», sagt er.

Bei der Stempelsteuer und dem Tabakwerbeverbot habe die Mitte vielleicht zu sehr die Wirtschaftsinteressen mitberücksichtigt. Die Lehre, die er daraus zieht: «Bei künftigen Wirtschaftsvorlagen, die nur einem kleinen Teil der Wirtschaft zugutekommen, müssen wir kritischer hinschauen.»

Candinas selbst enthielt sich der Stimme bei diesen beiden Vorlagen. Er zeigt sich trotzdem optimistisch: «Die nächsten Abstimmungen werden weniger problematisch, da gehören wir bestimmt wieder zu den Gewinnern.»

Politologe Longchamp fragt sich, wo die Mitte ist

Für den Politologen Claude Longchamp ist das Abstimmungsresultat der Mitte aber kein Zufall. «Die Partei ist sehr fragmentiert und kann keinen Block mehr bilden in einer polarisierten Situation.» Sie drohe, sich aufzulösen und könne nicht mehr die Richtung anzeigen, in die sie gehen wolle.

Die Mitte reibe sich auf, einerseits zwischen der Partei und ihrer Basis, anderseits auch immer mehr innerhalb der eigenen Partei. Anders als früher könne der Parteipräsident kein starkes und geeintes Zentrum mehr herstellen. Longchamp sagt: «Ich habe zunehmend Mühe, herauszufinden, wo die Mitte ist.»