«E richtigi Chnübliarbet» – 45 Stunden Dorfgeschichte im Bild
Es ist eine Parforceleistung sondergleichen. Ernst Roth, noch bis Ende Jahr Präsident der Museumskommission Oftringen, hat das umfangreiche Film- und Fotomaterial des Ortsmuseums gesichtet, eingeordnet und aufbereitet. Nun steht ein besonderer Dorfrundgang bereit, auf dem in 400 Diashows und Filmen mit einer Gesamtspieldauer von 45 Stunden visuelle Dorfgeschichte präsentiert wird.
Alter Löwen, Oftringen. Ernst Roth sitzt im Museumskaffee und startet eine Diashow. Das erste Bild zeigt eine Karte, auf der ersichtlich wird, wo die Zürichstrasse verläuft. Dann startet ein zwölf Minuten dauernder Spaziergang, welcher beim «Strassenkreuz der Schweiz» beginnt und bei der Autobahnbrücke endet. Er zeigt – schön den Hausnummern nach – ein längst verschwundenes Oftringen: Elektrische Anlagen Lüscher-Nyffeler, Sattler Glauser, Velohandlung Gebr. Maurer, Möbelwerkstätte F. Kaspar, Lederwaren Reber, Maschinenbau Gebr. Gaberthüel oder Lebensmittelladen Amsler ist da etwa an den Häusern zu lesen. Er zeigt am Beispiel Zürichstrasse aber auch, wie sich das Dorf verändert hat: vom Einkaufszentrum eo und den vielen kubischen Wohn- und Geschäftshäusern auf der gegenüberliegenden Seite bis hin zum Youcinema, dem einst das Wirtshaus Wegweiser weichen musste.
Die Entwicklung der Gemeinde dokumentieren
«Mit der Fotodokumentation wollen wir die Entwicklung der Gemeinde in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufzeigen», sagt Roth. Der 71-Jährige hat sich während nunmehr zwei Jahren der Aufgabe angenommen, das riesige Fotomaterial des Ortsmuseums zu sichten, einzuordnen und in Diashows aufzubereiten. Eine gewaltige Aufgabe. Doch Roth ist kein Mann der lauten Worte. Lieber betont er die Vorarbeiten, auf die er sich stützen durfte. Insbesondere der Kulturgüterschutz habe zwei Wiederholungskurse im Museum absolviert und dabei unheimlich viele Bilder eingescannt.
Bilder, die zu einem grossen Teil bereits im Fundus des Museums lagerten. Neben einer umfangreichen Postkartensammlung verfügte das Ortsmuseum über eine grosse Fotosammlung mit vielen Aufnahmen aus den 1960er-Jahren, die von Hans Hubeli, dem Schwiegervater des langjährigen Löwenteammitglieds Bethli Hubeli, stammt. Vorwiegend in den 1950er- und 1960er-Jahren entstanden die alten Filme von Erwin Müller. So zum Beispiel ein Film zum Kinderfest von 1952, dann aber auch ein Streifen zum Abbruch des legendären Gasthofs zum Goldenen Löwen 1969, an dessen Stelle das eo-Hochhaus zu stehen kam. Oder vom Autobahnbau in den 1960er-Jahren, der das Dorf entzweischnitt. Oder vom Badifest von 1969, der von Erwin Müller und Kurt Hunziker gemeinsam erstellt wurde. Ein Fest, das zwar nie zu einer Badi in Oftringen führte, später aber zu einem Geldsegen an die engagierten Vereine.
Viele Aufnahmen aus dem Oftringen der 1980er-Jahre sowie Aufnahmen von Anlässen aus dem Museum in den Jahren 2000 bis 2010 wurden dem Ortsmuseum von Kurt Amstutz, einem ehemaligen Mitglied der Museumskommission, zur Verfügung gestellt. Eine weitere grosse Fotodokumentation wurde von Bob Balzan erstellt. Seine Bilder, welche vor allem die baulichen Veränderungen in Oftringen aufzeigen, entstanden zwischen 2010 und 2020. Rund 800 Bilder – vor allem von der Brückenverschiebung Bernstrasse, den Abbrucharbeiten im Siegrist-Areal und den Bauarbeiten in der Kriegsschlaufe – übergab Hans Grütter dem Museum. Mehrere Privatpersonen stellten weitere Aufnahmen zur Verfügung.
Insgesamt umfasst die digitalisierte Fotodokumentation des Ortsmuseums momentan rund 16’000 Bilder. «Möchte jemand die gesamte Dokumentation anschauen, so müsste er rund 45 Stunden vor dem Bildschirm verbringen», sagt Roth. Mehr als 100 Strassen sind im Verzeichnis erfasst – insbesondere Dorf-, Kreuz- und Zürichstrasse sind sehr gut dokumentiert. Daneben gibt es aber auch fotografisches Material zur wirtschaftlichen Entwicklung der Gemeinde. Bilder liegen von 23 Gasthöfen sowie mehr als 40 Industrie- und Gewerbebetrieben vor. Das Inhaltsverzeichnis der gesamten Fotodokumentation kann auf der Website des Museums eingesehen werden. Ebenfalls sind dort einige Diashows und Videos als Beispiel aufgeschaltet.
Vom Bauerndorf zum Teil eines Siedlungsteppichs
So erhält der Museumsgast einen guten Einblick in die rasante Entwicklung des ehemaligen Bauerndorfs. Ein Dorf, dessen Bevölkerung innerhalb einer Generation um das Dreifache angewachsen ist. Eine Gemeinde auch, die weder Dorf noch Stadt ist, sondern vielmehr «Teil eines Siedlungsteppichs geworden ist, der von Olten über Aarburg und Rothrist nach Zofingen läuft», wie es die Zeitschrift «Hochparterre» formulierte, welche die Gemeinde unlängst in einem Sonderheft porträtierte.
Wie das Dorf ist auch unsere Fotodokumentation eine Dauerbaustelle.
Ernst RothAbtretender Präsident der Museumskommission
Dass dabei die Menschen, die in der Gemeinde lebten und leben, nicht vergessen gehen, dafür sorgen Unmengen von Fotos, die ebenfalls digitalisiert wurden. Fotos von Kinderfesten ab der Zeit um 1930, Klassenfotos von den Anfängen der Fotografie um 1900 bis etwa 1990, Bilder von Fasnachtsumzügen und Chlauseinzügen. Luft nach oben hingegen besteht noch bei Fotos aus den Vereinen. «Da sind wir wirklich schlecht dokumentiert», bedauert Roth.
Zuordnung war nicht immer einfach
Jetzt, nachdem ein erstes Zwischenziel erreicht und das vorhandene Fotomaterial geordnet ist, zieht Roth eine erste Bilanz. «Die Einordnung der Fotos nach Strassen ist wohl richtig gewesen», betont der Präsident der Museumskommission. Wie viele Stunden er für seine Arbeit aufgewendet hat, mag er gar nicht sagen. «Ich habe das auch gar nicht notiert», sagt er. Denn die Arbeit habe ihm viel Spass gemacht, auch wenn die Zuordnung einzelner Fotos manchmal schwierig gewesen sei. «E richtigi Chnübliarbet», sagt er lachend, auch für einen, der 50 Jahre in der Gemeinde gearbeitet hat und dort auch seit 46 Jahren wohnt.
Nun hat der 71-Jährige auf Ende Jahr seinen Rücktritt aus der Museumskommission eingereicht. Für eine weitere Amtsperiode von drei Jahren will er sich nicht mehr verpflichten, mehr Zeit für Familie und Enkelkinder haben. Doch für das Projekt Fotodokumentation steht er dem Ortsmuseum weiterhin zur Verfügung. «Weil es mir Spass macht – und ich daran arbeiten kann, wann ich will.» So wird man Ernst Roth mit Sicherheit auch weiterhin auf seinen Streifzügen im Dorf sehen – bewaffnet mit seiner Kamera. Und im Januar 2022 wird er im Alten Löwen aus seiner 50-jährigen Tätigkeit als «Stromer» erzählen.
Die Fotodokumentation des Ortsmuseums soll aber auch in Zukunft wachsen. «Wir fordern die Bevölkerung auf, in ihren Fotoalben und Filmsammlungen zu stöbern und der Museumskommission interessantes Material zur Verfügung zu stellen», sagt Roth. Ganz nach dem Motto: «Was heute geschieht, ist morgen Geschichte.» Und schmunzelnd fügt Ernst Roth an: «Wie das Dorf ist auch unsere Fotodokumentation eine Dauerbaustelle.»