Ein chirurgischer Eingriff kann bei Lymphödemen Schmerzlinderung bringen
Prof. Dr. med. Jan Plock ist Chefarzt Plastische Chirurgie und Handchirurgie im Kantonsspital Aarau. Im Interview erklärt er, wie es zu Störungen im Lymphsystem kommt und wie sich diese behandeln lassen.
Herr Prof. Plock, was ist ein Lymphödem?
Prof. Dr. med. Jan Plock: Der Mensch hat zahlreiche Lymphgefässe, die dabei helfen, abgestorbene Zellen, Eiweiss- und Fremdkörper, Bakterien, Fette und Stoffwechselendprodukte aus dem Körper zu transportieren. Lymphgefässe befördern täglich bis zu zwei Liter Flüssigkeit in das Venensystem. Ist der Abfluss dieser Lymphflüssigkeit gestört, können sich Schwellungen unter der Haut bilden – sogenannte Lymphödeme.
Welche Symptome spüren die Betroffenen?
Aufgrund des gestörten Lymphabflusses bleibt das Wasser im Gewebe und staut sich dort an. Das passiert nicht von heute auf morgen, sondern kann sich über Jahre hinweg verschlimmern. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen drei Stadien: Im Stadium eins ist bereits eine Schwellung erkennbar, diese lässt sich aber in der Regel durch Hochlagern der Extremitäten zurückbilden oder durch Lymphdrainage sehr positiv beeinflussen. Bei Stufe zwei staut sich die Gewebeflüssigkeit bereits dauerhaft, und es bildet sich zusätzliches Bindegewebe, das immer mehr verhärtet. Das führt dazu, dass die Schwellung auch beim Hochlagern der Arme oder Beine nicht mehr ganz abklingt. Die dritte Stufe wird auch als Elefantiasis bezeichnet. In diesem Stadium hat sich die Haut schon massiv verdickt und verhärtet. Es kann zudem zu warzenartigen Wucherungen, Verfärbungen und gestörtem Nagelwachstum kommen.
Sind Lymphödeme gefährlich?
Lymphödeme sind an sich nicht gefährlich, nein. Allerdings ist insbesondere in fortgeschrittenen Stadien häufig die Barrierefunktion der Haut gestört, wodurch Entzündungen und Infektionen begünstigt werden. Auch die Beweglichkeit ist häufig eingeschränkt, sodass es zu Fehlbelastungen kommt.
Wie lassen sich Lymphödeme behandeln?
Zuerst werden konservative Methoden eingesetzt. Mithilfe von Kompressionsstrümpfen oder Bandagen kann beispielsweise der Abtransport der Gewebeflüssigkeit angeregt werden. Mit der Lymphdrainage, einer speziellen Massagetechnik, wird durch manuelle oder physikalische Stimulation das Gewebe entstaut. Auch Bewegungstraining und spezielle Hautpflege wirken sich positiv auf den Krankheitsverlauf aus.
10 Tipps für den Umgang mit Lymphödemen
Das Leben mit Lymphödemen ist beschwerlich. Es gibt jedoch einige Dinge, die Sie tun können, um die Beschwerden zu lindern. Die Lymphödem Vereinigung Schweiz hat die wichtigsten Tipps zusammengefasst:
Vermeiden Sie starke Hitze und Kälte
Bleiben Sie in Bewegung
Tragen Sie keine einengende Kleidung
Pflegen Sie Ihre Haut mit feuchtigkeitsspendenden Produkten
Vermeiden Sie Verletzungen aller Art
Vermeiden Sie Übergewicht
Lagern Sie die betroffenen Extremitäten regelmässig hoch
Vermeiden Sie langes Sitzen oder Stehen
Atmen Sie mehrmals täglich tief ein
Verhindern Sie eine Überanstrengung der betroffenen Gliedmassen
Und was, wenn das nicht ausreichend hilft?
Tatsächlich bringen diese Behandlungsmethoden ab einem gewissen Schweregrad nicht genug Erleichterung. Ausserdem sind sie sehr zeitintensiv und unangenehm. Kurzum: Die Lebensqualität der Betroffenen wird massiv eingeschränkt. In diesem Fall kann sich ein mikrochirurgischer Eingriff als Teil eines Behandlungsplans lohnen.
Was wird dabei gemacht?
Das kommt auf das Stadium der Erkrankung an. So können beispielsweise unterbrochene Bahnen durch eine Umleitung von Lymphgefässen einer gesunden Körperregion ersetzt werden. Abhängig von der Ausgangslage kann es auch sinnvoll sein, ganze Lymphknoten aus einer gesunden in eine geschädigte Region zu transplantieren. In jedem Fall ist der Eingriff sehr aufwendig, weil die Gefässe so klein sind, dass sie unter dem Mikroskop behandelt werden müssen. Da aber keine lebenswichtigen Organe tangiert sind, verkraften die meisten Patientinnen und Patienten den Eingriff sehr gut und haben wenig Schmerzen.
Dieser Eingriff wird nicht an vielen Spitälern angeboten, richtig?
Das stimmt. Das KSA ist derzeit eines von nur drei Zentren in der Schweiz, in denen dieser Eingriff durchgeführt wird. Und das, obschon damit wirklich hervorragende Resultate erzielt werden können. Erst kürzlich hat eine Patientin innerhalb von nur einer Woche nach der Operation über 30 Kilogramm Flüssigkeit verloren. Auch die Krankenkassen haben den Wert und die Notwendigkeit dieser Eingriffe mittlerweile anerkannt und decken seit letztem Sommer die Kosten für diese Behandlungsmethode. Alice Graf
«Meine Beine fühlen sich viel leichter an»
Lucia M. leidet schon seit ihrer Jugend an stark geschwollenen und schmerzenden Beinen. «Im Sommer quälten mich vor allem meine Füsse. Es war eine Tortur», erklärt sie. Dieses Jahr wurde bei ihr dann ein Lymphödem diagnostiziert. Diesen Frühling entschied sich die 32-Jährige dazu, dieses operativ behandeln zu lassen. Einige Tage vor dem Eingriff wurde eine Fluoreszenzdarstellung der Lymphgefässe durchgeführt. «Dafür musste man mir Kontrastmittel in den Fuss spritzen. Das hat etwas gebrannt, war aber aushaltbar», erklärt sie. Der Hochpräzisionseingriff dauerte dann ganze fünf Stunden. Obschon Lucia M. anschliessend unter leichter Müdigkeit und Übelkeit litt – Schmerzen und Beschwerden hatte sie kaum. Es folgten drei Wochen Reha. «Dort gab es zweimal täglich eine Lymphdrainage, und auch bandagiert wurde jeden Tag», erzählt die Patientin. Doch die Behandlung zeigt Wirkung: Innert kurzer Zeit verlor die Patientin fast drei Kilo Flüssigkeit. Auch die Schmerzen und Schwellungen sind kurz nach der Operation abgeklungen. «Meine Beine fühlen sich viel leichter an, und auch das Gehen ist einfacher geworden», erzählt sie und ergänzt: «Es ist noch ein langer Weg, aber der Eingriff hat sich schon jetzt absolut gelohnt.»