Ein Kilogramm Kaffee für einen Baum: Wie ein Kolumbianer mit Schweizer Hilfe den Urwald retten will
Langsam, fast im Schritttempo schiebt sich der schwere Geländewagen von José Florez die Strasse zur Finca Atinkana in der Sierra Nevada in Kolumbien hoch. «Strasse» ist allerdings übertrieben, denn es handelt sich nach Schweizer Begriffen eher um einen Feldweg mit knietiefen, ausgewaschenen Gräben, die es sorgfältig zu umfahren gilt. Für die Strecke von gut 20 Kilometern von Santa Marta an der Karibikküste bis zur Finca braucht José Florez deshalb fast zwei Stunden. Die vier Mitfahrer müssen sich festhalten, sonst knallen sie gegen Karosserie oder Autofenster.
José Florez spricht fliessend Schweizerdeutsch. Er besuchte zuerst die Schweizer Schule in Bogotá und kam dann mit einem Stipendium in die Schweiz, wo er an der Universität Zürich einen Abschluss in Biologie machte. Er hatte den Traum, den Urwald wieder zu regenerieren, der in Kolumbien wie in anderen Staaten geschädigt oder gar abgeholzt ist.
Zwei Jahre lang suchte er nach seiner Rückkehr in die Heimat ab 2015 ein geeignetes Gelände, um seine Ideen zu verwirklichen. In der Finca Atinkana fand er dazu das geeignete Gelände von 150 Hektaren zwischen 800 und 1400 Metern über Meer – grösstenteils so steil, dass es in der Schweiz höchstens von Wildheuern oder Sentenbauern bewirtschaftet würde.
Auch die arme Bevölkerung Kolumbiens soll profitieren
Sein Ziel ist es, die ursprüngliche Struktur des Urwaldes langfristig wiederherzustellen und den Boden fruchtbarer zu machen. Finanziert wird das Projekt mit dem Anbau von Kaffee und Kakao sowie diversen Früchten wie beispielsweise Avocados, Guanabana, Bananen und vielen anderen.
Das Ungewöhnliche daran ist, dass davon auch die Einheimischen vor Ort profitieren sollen. Denn langfristig ist der Schutz nur gewährleistet, wenn ihn auch die Bevölkerung mitträgt: «Mein Traum ist es, einen essbaren Wald zu schaffen, dessen Früchte man ernten kann, ohne dabei den Wald zu zerstören», sagt José Florez. Um die dafür notwendigen Bäume anbauen zu können, wird deshalb mit dem Ertrag des Verkaufs von je einem Kilogramm Kaffee in der Schweiz ein neuer Baum in Kolumbien gepflanzt.
Sowohl die Nutzpflanzen wie auch die Urwaldbäume werden aus Samen oder Keimlingen direkt auf der Finca gewonnen. In einer Art Baumschule wachsen sie zu einer Grösse, die es möglich macht, sie in die freie Natur raus zu pflanzen. Konkret heisst das, dass pro Jahr 30000 Kaffeepflanzen und 14 000 einheimische Bäume herangezogen werden.
Erde hat wegen Monokultur und Viehzucht gelitten
Die Kaffeepflanzen müssen in drei Stufen an das Sonnenlicht gewöhnt werden, das sie in einem zu frühen Stadium zerstören kann. Denn in ihrem natürlichen Habitat im Urwald, das imitiert werden soll, herrscht oft Halbschatten. Auch für die Bäume, die dereinst im Urwald stehen sollen, wurden eigentliche Baumschulen errichtet. Die Pflanzen darin sind so ausgewählt, dass sie in die jeweilige Umgebung passen. Pro Jahr werden zurzeit 14 Tonnen Kaffee exportiert.
Auf Flächen, die von früheren Besitzern für Viehzucht gerodet wurden, werden die Setzlinge dann ausgebracht. In Reihen von zwei Metern Abstand wechseln sich nach einem genauen Schema Kaffee-, Kakao- und Fruchtpflanzen ab.
Damit die jungen Pflanzen nicht ersticken, muss immer wieder gemäht werden. Auch Baumschnitte sind nötig. Das geschnittene Material wird weiterverwendet, um den Boden zu düngen und die durch Monokultur ausgelaugte Erde wieder zu verbessern. Aus kontrollierter Kompostierung wird neuer Humus gewonnen, der als natürlicher Dünger ausgebracht wird. Kunstdünger und Herbizide sind auf dem Betrieb tabu.
Je nach Jahreszeit arbeiten zwischen 20 und 30 Leute auf der Finca. Der Aufwand ist gross, die Arbeit im schwülheissen Klima des Nebelwaldes hart. Denn je nach Ort, an dem die Pflanzen auf dem weitläufigen Gelände stehen, sind zwei oder mehr Stunden nötig, um im steilen Gelände an den Arbeitsort zu gelangen. In trockenen Zeiten kann es zudem sehr heiss werden. Die Arbeiter setzten darum auf einen Trick und nehmen am Morgen PET-Flaschen mit gefrorenem Wasser mit. Zuerst dienen diese dem Kühlen ihres Körpers, aufgetaut beim Mittagessen wird dann das kühle Wasser genutzt.
Ab dem November kann der Kaffee geerntet werden. Dafür müssen jeweils zusätzliche Helfer eingestellt werden. Die Ernte erfolgt in Handarbeit. Weil nicht alle Kaffeebohnen am Strauch gleichzeitig reif werden, muss jeder Strauch mehrmals abgeerntet werden. Um die schweren Säcke zu schleppen, werden häufig auch Esel eingesetzt.
Transport erfolgt wegen Klima nicht via Flugzeug
Aber Florez kümmert sich mit seiner Firma Atinkana nicht nur darum, dass der Urwald in seiner ursprünglichen Form wieder entstehen kann. Sondern er will der oft sehr armen Bevölkerung auch auf anderem Wege helfen. So erhalten die Kaffeebauern, die beschäftigt werden, bessere Löhne als bei anderen Unternehmen. Pro Kilogramm verkauften Kaffee bleiben elf Dollar im Lande – acht für die Kaffeebohnen, drei für die Aufforstungsarbeit. Das sind etwa 26 Prozent des Ertrags. Der Profit soll möglichst nicht nur in reiche Länder fliessen.
Zum Konzept des Südamerikaners gehört auch, dass er seine Waren nicht via Flugzeug in die Schweiz schicken will. Corinne Keller und André Conte, welche für Florez die Vermarktung seines Kaffees in der Schweiz verantworten, erklären, dass der Kaffee einmal im Jahr mit zwei Segelschiffen nach Europa verschifft wird. Dort angekommen, wird er dann von einer spezialisierten Firma mit E-Lastwagen in die Schweiz gefahren, wo er jeweils einmal im Monat frisch geröstet wird. Auch die Verteilung an die Kunden in der Schweiz und Deutschland geschieht, wenn immer möglich, in einer umweltschonenden Weise.
Zurück nach Kolumbien in den schwülen Urwald. Der Tag geht nach langen arbeitsamen Stunden zu Ende, man spürt den nahenden Abend in der Luft. Als wir den Holperweg zurückfahren, weiss ich, dass ich in Zukunft Kaffee nicht mehr trinken kann, ohne über die Anbaumethoden nachzudenken.