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Ein Tag voller Parteipolitik und Hilflosigkeit in Bern

Im Rahmen einer dringenden Debatte zum Krieg in der Ukraine sucht das Parlament nach seiner Rolle und trifft den Ton – meistens.

Egal wie dramatisch eine Krisensituation auch sein mag: Befasst sich das Schweizer Parlament damit, tut es dies im geordneten Rahmen einer bestimmten Debattenkategorie gemäss seiner Geschäftsordnung. Für die Dringliche Debatte des Nationalrats am Mittwoch zum Krieg in der Ukraine galten bezüglich Redezeiten pro Fraktion die Regeln der Kategorie IIIa, wie Nationalratspräsidentin Irène Kälin (Grüne/AG) zu Beginn erläuterte.

«Heute geht es aber nicht um Minuten oder Kategorien, sondern um eine tragische und sehr besorgniserregende Realität», schob sie nach und forderte die Ratsmitglieder dazu auf, diesem Umstand Rechnung zu tragen. Die folgende dreistündige Debatte wurde Kälins Wunsch nicht immer gerecht.

Bestürzung und Ohnmacht

Der russische Angriffskrieg und die damit verbundenen Folgen bewegen auch den Nationalrat. Gross ist der Wunsch seiner Mitglieder, gehört zu werden und eine Rolle zu spielen –verstärkt wohl durch die Erfahrungen von zwei Pandemiejahren, während denen die Legislative im Schatten der Kantone und des Bundesrates stand. Trede: «Wir wollen helfen, aber wir sind machtlos»

Am Mittwoch nun machten gleich vier von sieben Mitgliedern des Bundesrats dem Nationalrat ihre Aufwartung: Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis (FDP), Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP), Verteidigungsministerin Viola Amherd (Mitte) und Energieministerin Simonetta Sommaruga (SP). Dieser bundesrätliche Aufmarsch dürfte den Nationalratsmitgliedern geschmeichelt haben.

Dass deren Bedeutung in Kriegs- und Krisenzeiten infrage gestellt ist, strich Aline Trede (Grüne/BE) hervor: «Wir sind hier, wir wollen helfen, wir wollen etwas unternehmen, aber doch haben wir eine sehr grosse Machtlosigkeit in uns.»

Bemühen um einen würdigen Tonfall

Inhaltlich drehte sich die Debatte um bekannte Forderungen der Parteien – die teilweise durch den Krieg in der Ukraine neue Dringlichkeit erhalten haben. Bei den meisten Rednerinnen und Rednern war zumindest oberflächlich das Bemühen um einen würdigen Tonfall erkennbar.

Betont wurde die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, die Abscheu über Russlands Kriegsführung, die Hilfsbereitschaft in der Schweiz. Maja Riniker (FDP/AG) sprach von einer «Solidaritätswelle, die bewegt und verbindet».

Kandersteg macht einen Zürcher Nationalrat mächtig stolz

Doch unter die sorgfältig gewählten Worte mischte sich viel parteipolitische Rhetorik. Nicolas Walder (Grüne/GE) kritisierte jene, die «im Offroader in die Skigebiete fahren» und damit die russischen Bomben auf die Ukraine mitfinanzierten. FDP-Fraktionschef Damien Cottier (NE) forderte angesichts der Krise eine Steuerreform.

Das grösste Negativbeispiel lieferte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (ZG). Im Zusammenhang mit den migrationspolitischen Forderungen der SVP sprach er davon, dass jungen Ukrainerinnen in der Schweiz die Vergewaltigung durch «Nigerianer oder Iraker mit ukrainischen Pässen» drohte.

Marianna Romaniak, Leiterin der Stiftung RIDNI, Liuba Matveichenko, Mitarbeiterin RIDNI Stiftung, Rene Maeder, Gemeindepraesident Kandersteg, Bundespraesident Ignazio Cassis und Hans-Peter Portmann, Nationalrat FDP-ZH, von links, diskutieren vor einer kurzfristig anberaumten Sitzung in Bern. 

Am Rande der Debatte lud der Zürcher FDP-Nationalrat und Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann Medienschaffende in ein Kommissionszimmer, wo Vertreter der ukrainischen Botschaft, des Staatssekretariat für Migration, des Kantons Bern und der Gemeinde Kandersteg warteten. Sichtlich stolz verkündete Portmann, dass für 160 Waisenkinder aus der Ukraine eine Unterbringungsmöglichkeit gefunden werden konnte. Die ersten 30 von ihnen kommen nächste Woche an.

Portmann hatte auf Bitten eines ihm bekannten ukrainischen Unternehmers, der in seiner Heimat ein Waisenhaus finanziert, nach geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten in der Schweiz gesucht. Und wurde in Kandersteg fündig. «Es ist Krieg und wir wollen helfen», sagte Gemeindepräsident René-François Maeder. Die anstehenden Herausforderungen werde die Gemeinde «step by step» gemeinsam mit Bund und Kanton zu lösen wissen.

Nach theoretischer und praktischer Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine diskutierte der Nationalrat am Nachmittag die «Stärkung der Wertschöpfung beim Käse».