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Diskriminierende Gemeindeversammlung? Zwei Fälle aus dem Aargau zeigen, dass es auch anders laufen kann

Wenn das Bauchgefühl über Einbürgerungen entscheidet, können Stereotypen und Diskriminierung mitspielen. In manchen Fällen kann es aber für die Einbürgerungswilligen auch positiv sein, wenn die «Gmeind» über ihr Gesuch abstimmt.

Gemeinden mit Einbürgerungsgremien oder Kommissionen im Kanton Aargau bürgern pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner rund 18 Personen mehr ein als jene mit Gemeindeversammlungen. Diese Daten unterstützen die Untersuchungen von Dominik Hangartner von der ETH Zürich, die gezeigt haben, dass es bei Einbürgerungen an Gemeindeversammlungen zu mehr Diskriminierung kommt.

Beispiele lassen sich dafür im Aargau etliche finden. Nebst denen, die es national oder sogar international in die Schlagzeilen geschafft haben, wie etwa Funda Yilmaz oder Nancy Holten, sei hier auch ein exemplarischer Fall aus der Gemeinde Suhr erwähnt, der sich im Jahr 2009 zugetragen hat: Ein 19-Jähriger wurde damals von einem Kosovaren mit einem Skateboard niedergeschlagen und erlitt einen fünffachen Schädelbruch. Als Folge der verhängnisvollen Nacht wurden drei serbisch-montenegrinischen Schülern mit Jahrgang 1992 und 1993 die Einbürgerung verweigert, obwohl diese mit dem Vorfall gar nichts zu tun hatten.

Das Opfer und sein Vater wandten sich gegen die Einbürgerungen, um «ein Zeichen zu setzen» – und überzeugten die Versammlung. «Da hat es die Falschen getroffen», erklärte der damalige Gemeindeammann Beat Rüetschi im Anschluss. An der darauffolgenden Gmeind wurde das Gesuch erneut behandelt und die drei Jugendlichen eingebürgert.

Versammlung widersetzt sich der Empfehlung des Gemeinderats

Auch in Wislikofen war die Gmeind nicht der Empfehlung des Gemeinderats gefolgt, allerdings mit anderem Ausgang, als 2018 die Bengalin Kaniz Fatema Khan eingebürgert wurde. Sie bestand den Einbürgerungstest, doch der Gemeinderat empfahl der Gemeindeversammlung, ihr Gesuch wegen «zu schwacher Sprachkenntnisse» und «fraglicher Integration» abzulehnen.

Fatema, wie sie alle im Dorf nennen, wohnte damals seit zehn Jahren in der 342-Seelen-Gemeinde und arbeitet oberhalb des Dorfs als Köchin in der Maia-Stiftung Haus Goldenbühl, einer Institution für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Vor der Gemeindeversammlung war das Einbürgerungsgesuch heiss diskutiertes Thema im Dorf, viele verstanden die Empfehlung des Gemeinderates nicht.

Gemeindeammann Heiri Rohner (Die Mitte) räumte damals gegenüber der AZ ein: «Ich finde es überflüssig, dass der Gemeinderat eine Empfehlung abgeben muss.» Insbesondere in einer kleinen Gemeinde wie Wislikofen, in der es nur selten Einbürgerungssuche gibt, mache das keinen Sinn. «Wie sollen wir die Sprachkenntnisse und die Integration fair beurteilen, wenn wir kaum Vergleichsmöglichkeiten haben? Diese Aufgabe müsste eine Kommission übernehmen, die regelmässig Gesuche prüft, oder ein ähnliches Gremium.» Zwar gebe es für Gemeinderäte einen Leitfaden, «aber wie dieser ausgelegt werden soll, darüber könnte man stundenlang diskutieren».

Die «Gmeind» folgte der Empfehlung des Gemeinderates nicht und sicherte Khan das Schweizer Bürgerrecht zu.

Eingebürgert trotz schlechter Staatskunde-Kenntnisse

Ein ähnlicher Fall ereignete sich 2016 in Oftringen: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger genehmigten mit 144 Ja- zu 15 Nein-Stimmen das Einbürgerungsgesuch von Rocco Florio und seiner Frau Felicia aus Italien – obwohl der Gemeinderat dagegen war. Beide waren an den schriftlichen Einbürgerungstests deutlich gescheitert, es haperte sowohl bei den Sprach- als auch bei den Staatskunde-Kenntnissen. Dies obwohl Rocco Florio schon als 18-Jähriger aus Apulien in die Schweiz kam.

Als die Gemeindeversammlung ihm das Bürgerrecht gab, war Rocco Florio 72 Jahre alt, arbeitete jahrelang von frühmorgens bis spät am Abend. Daneben engagierte er sich im Dorf, war 21 Jahre lang aktiver Feuerwehrmann. Das dürfte auch den Ausschlag gegeben haben: Seine Feuerwehrkollegen hatten sich für die Einbürgerung der beiden Senioren eingesetzt.