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Zwischen Schwarznasenschaf und Stadt-Hipster: Wo stehen der Aargau und seine Exponenten eigentlich?

Die Wahl von Albert Rösti und Elisabeth Baume-Schneider in den Bundesrat verstärke den Stadt-Land-Graben. So wird landauf, landab kritisiert. In welches Lager gehört dann eigentlich der Kanton Aargau und seine Aushängeschilder? Eine Analyse mit einer Prise Polemik.

Zugegeben, viel mehr Land-Gen als bei den beiden Neuen in der Landesregierung geht kaum. Die Wahl von Albert Rösti (Berner Oberland, Ex-Milchlobbyist, Präsident des Freiberger-Verbandes) und Elisabeth Baume-Schneider (Jura, Schwarznasenschaf-Besitzerin) hat die Debatte um den Stadt-Land-Graben befeuert.

Neben dem chronisch nicht berücksichtigten Basel beklagen sich auch die Zürcher, nicht mehr im Bundesrat mitgestalten zu können. Doch streng genommen ist das urbane Zürich schon seit dem Ausscheiden des Stadtzürchers Moritz Leuenberger 2010 nicht mehr in der Landesregierung vertreten. Denn Ueli Maurer aus dem beschaulichen Wernetshausen am Bachtel (782 Einwohner) geht schwerlich als Urban Hipster durch.

Es greift also zu kurz, den Stadt-Land-Graben an der Kantonszugehörigkeit festzumachen. Dieser verläuft, wenn schon, innerhalb der Regionen selber. Das zeigt sich im mittelgrossen Kanton Aargau auch ohne Grossstadt exemplarisch.

Wer die Abstimmungen der letzten Jahre unter die Lupe nimmt, stellt fest: je urbaner eine Gemeinde, desto progressiver das Resultat, und je ländlicher eine Gemeinde, desto konservativer – in der Regel. So hätte die Stadt Aarau das CO2-Gesetz letztes Jahr mit 65 Prozent Ja-Anteil angenommen; das nur 10 Kilometer entfernte Teufenthal schickte die Vorlage mit nur 33 Prozent Ja-Stimmen bachab. Ein Kanton, zwei Welten.

Städtisch oder ländlich? Auch auf der individuellen Ebene ist das zuweilen schwer zu definieren. War Doris Leuthard nun eine Vertreterin der urbanen oder der ländlichen Schweiz? Sie ist in Merenschwand aufgewachsen und lebt heute noch dort. Also eindeutig Land. Oder doch auch urban? In ihrer Karriere politisierte sie in der ganzen Schweiz, verbrachte die meiste Zeit in der Hauptstadt und traf Staatsleute aus der ganzen Welt.

Patti Basler, Wermuth oder Burkart: Wer ist das grössere Landei?

Gilt Patti Basler als Landei, nur weil sie auf einem Bauernhof in Zeihen (Fricktal) aufgewachsen ist? Oder geht sie als Stimme des Urbanen durch, da sie nun in Baden wohnt und mutmasslich vor allem progressive Städter zum Lachen bringt?

Land oder Stadt? Oder beides? Slam-Poetin Patti Basler aus Zeihen (hier im Grill-Sommerinterview mit der AZ im Sommer 21 in Bözen).
Alexander Wagner

Wird Cédric Wermuth als urban wahrgenommen, nur weil er klar links politisiert und in Baden lebte? Oder muss man ihn zum Land zählen, weil er in Boswil (Bezirk Muri) aufgewachsen ist und jetzt im kleinräumigen Zofingen wohnt?

Boswil, Baden, Zofingen (im Bild): Die Wohnorte von SP-Co-Präsident Cédric Wermuth im Laufe der Zeit.
Britta Gut

Und was ist mit Thierry Burkart? Seine Kindheit verbrachte er in Obersiggenthal, dann lebte er zwei Jahrzehnte in Baden, jetzt ist er in der Zurzibieter Gemeinde Lengnau sesshaft geworden.

Thierry Burkart ist jetzt im Zurzibiet zu Hause, aber als FDP-Präsident und Ständerat vor allem in Bern (im Bild).
Keystone

Städter ziehen aufs Land, das Land verstädtert

Solche Biografien illustrieren: Der Stadt-Land-Gegensatz verwischt zunehmend, allein durch die Mobilität der Menschen im Verlaufe ihres Lebens. Zum einen ziehen immer mehr Städter aus der Stadt; sei es, weil sie sich die steigenden Immobilienpreise und Mieten im Zentrum nicht mehr leisten können oder einfach, weil sie die Lebensqualität auf dem Land als höher einschätzen.

Gleichzeitig pendeln immer mehr Menschen zur Arbeit in die Stadt. Aber eben, was heisst schon «Stadt» und «Land»: Schon heute ist das Mittelland eine einzige grosse Agglomeration. Das wird sich mit dem anhaltenden Bevölkerungswachstum und der abermals ausgebauten Verkehrsinfrastruktur noch verstärken. Gemäss einem Monitoring des Bundesamtes für Raumentwicklung leben mittlerweile rund drei Viertel der Bevölkerung im sogenannt «städtischen Raum».

So gesehen wird die urbane Schweiz über kurz oder lang also immer dominanter und die Spezies der klassischen Landvertreter rar werden.

Bis sich der Stadt-Land-Graben so von alleine zuschüttet, müsste der Aargau als Durchschnittskanton, in dem Stadt, Agglo und Land besonders nahe beieinander liegen, eigentlich eine ständige Vertretung im Bundesrat bekommen. Als verlässlicher Brückenbauer zwischen dem Lager der Schwarznasenschafe und der Stadt-Hipster.