SRF verliert alle Live-Rechte im Schweizer Eishockey – die schlimmste Niederlage der TV-Geschichte
Ab der nächsten Saison gibt es beim staatstragenden Fernsehen SRF von unserer Hockey-Meisterschaft fünf Jahre lang keine Live-Bilder mehr. TV 24 hat für fünf Jahre die Rechte fürs frei empfangbare Fernsehen erworben. Die bisher schlimmste Niederlage der Sportgeschichte unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die am 6. Juni 1954 mit Live-Bildern von der Fussball-WM in unserem Land begonnen hat.
Dass unser staatstragendes Fernsehen nicht mehr am Rad der grossen internationalen TV-Rechte (wie Champions League) drehen kann oder will, macht die eidgenössischen Fernsehmacher durchaus sympathisch: Das zwangsweise beim Volk erhobene Gebühren-Geld wird nicht in den Rachen von gierigen internationalen Sportkapitalisten geworfen.
Etwas anderes sind nationale TV-Rechte. Die Geschichte lehrt uns, dass TV-Märkte nicht über den Erwerb der grossen, globalen TV-Rechte aufgerollt worden sind. Sondern durch die Rechte an den nationalen Sportereignissen, die politisch eine viel grössere Bedeutung haben. Vor allem die Rechte an den nationalen Meisterschaften im Fussball oder im Hockey.
Zum letzten Mal Hockey-Playoffs bei SRF
Ein vollständiger Verlust der Live-Rechte an unserer Fussball- oder Hockey-Meisterschaft ist für das staatstragende Fernsehen eigentlich undenkbar. Im Fussball sitzt Leutschenbach noch am Katzentisch der Live-Rechte. Immerhin. Aber im Hockey ist es nun zu einer historischen Zäsur gekommen: Ab nächster Saison hat SRF fünf Jahre lang keine Live-Rechte mehr an unserer Hockey-Meisterschaft. Wir sehen in den nächsten Wochen die Playoffs zum letzten Mal bei unserem staatstragenden Fernsehen. Ab nächster Saison sind die Rechte fürs frei empfangbare Fernsehen bei TV 24.
Im Vertrag zwischen der National League (sie ist eine vom Verband unabhängige AG) mit dem Bezahlsender MySports (Sunrise) ist festgeschrieben, dass Live-Bilder auch dem frei empfangbaren Fernsehen abgegeben werden müssen. Damit die TV-Bilder eine grössere Reichweite bekommen. MySports ist nach wie vor ein Nischensender mit einer im Vergleich zu SRF geringen Reichweite.
Bisher war klar: Die Rechte fürs frei empfangbare Fernsehen gehen an Leutschenbach. Weil es keinen frei empfangbaren Sender mit ähnlicher Reichweite gegeben hat. Kein Wunder, sassen die Leutschenbach-Generäle bei den Verhandlungen auf dem hohen Ross und weigerten sich beharrlich, den Wünschen der Liga entgegenzukommen. Ein Live-Spiel der Woche während der Qualifikation? Interessiert uns nicht. Wir wollen die Playoffs und seid dankbar, dass wir eure Playoffs überhaupt im Fernsehen bringen. Nach dem Motto: Ein Sport, der bei uns nicht live kommt, existiert nicht. Und so hat Leutschenbach das Eishockey immer wieder mit einer gewissen Geringschätzung behandelt: Mit ein paar Livespielen während der Qualifikation (die Derbys im Tessin und ein paar Spielen im Welschland), Studiosendungen, die langweiliger nicht sein könnten. Ein bisschen besser sind die Playoffs präsentiert worden. Aber Eishockey hatte beim staatstragenden Fernsehen noch nie den gleichen Stellenwert wie der Fussball.
Fatale Entwicklung
Nun folgt die Quittung für jahrelange Arroganz: Die Liverechte der National League gehen für die nächsten fünf Jahre an TV 24 der Mediengruppe CH Media. Plus die Video-Rechte an Ringier (Blick TV). Gezeigt werden ab nächster Saison am Sonntagabend während der Qualifikation ein Live-Spiel (Spiel der Woche) und dann die Playoffs auf TV 24 und Ringier überträgt jeweils am Dienstag ein Spiel (Streaming). Neu werden die Playoffs nächste Saison gesplittet: Die vier Viertelfinalserien werden jeweils an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gespielt, die zwei Halbfinals an zwei verschiedenen Tagen. Nach dem Motto: Gib uns unser tägliches Playoffhockey. Die SRF-Bildschirme aber bleiben auch während diesem Hochamt der Meisterschaft fünf Jahre lang schwarz: Keine Live-Bilder der nationalen Meisterschaft, weder der Qualifikations- noch der Playoffspiele. Nur noch zeitlich limitierte Kurznews.
Es ist ein weiterer Meilenstein einer für das öffentlich-rechtliche Fernsehen fatalen Entwicklung: Zum ersten Mal überhaupt in unserer TV-Geschichte hat Leutschenbach in einer wichtigen nationalen Meisterschaft keine Live-Rechte mehr. Mit Folgen für die Einschaltquoten, die darauf basierenden Werbeeinahmen und die politische Bedeutung. Es sind ja nicht nur die Live-Rechte, die verlorengehen. Was ebenso schwer wiegt: Die besten Journalisten und Moderatoren verlassen die Sportabteilung des staatstragenden Senders (u.a. Steffi Buchli, Stefan Bürer, Jann Billeter).
Beim Verlust internationaler TV-Rechte können finanzielle Limiten vorgeschoben werden. Aber nicht, wenn es nicht gelingt, die nationalen Rechte zu erwerben. Die Übernahme der Live-Rechte hätte rund vier Millionen gekostet. Der Verlust der Bedeutung auf dem nationalen Sport-TV-Markt ist im Leutschenbach weitgehend hausgemacht. Es sind offensichtlich Managementfehler der von Roland Mägerle und seinem juristischen Gehilfen Adi Boss geführten Sportabteilung.
In erster Linie wird das über die Jahre gepflegte arrogante Auftreten bestraft: Die jahrelang auf das staatstragende Fernsehen angewiesenen Sportfunktionäre mussten leer schlucken. Weil es keine Alternative zu Leutschenbach gegeben hat. Nun aber haben die Revolution des TV-Marktes und die technischen Entwicklungen das Monopol des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gebrochen. Die Liga hat die Reichweite analysiert: Mit TV 24 erreicht Hockey in der werberelevanten Gruppe der 15- bis 49-Jährigen sogar höhere Werte als SRF. Zum ersten Mal in der Geschichte ist das Hockey im frei empfangbaren TV nicht mehr auf Leutschenbach angewiesen. Zum ersten Mal gibt es eine Alternative.
Bei den Verhandlungen hat nach übereinstimmenden Berichten von Gewährsleuten das selbstherrliche Auftreten der SRF-Abgesandten mit den Ausschlag gegeben: Sie weigerten sich, eine Sendeverpflichtung einzugehen und wollten die Freiheit, bei Bedarf die Playoffs nicht im richtigen Fernsehen zu zeigen. Sondern bloss im Internet (Streaming) zu übertragen. Und von einem «Spiel der Woche» während der Qualifikation wollten sie gar nichts wissen.
Kommt hinzu, dass die Schlaumeier vom Leutschenbach versucht haben, im streng reglementierten Bietverfahren um die TV-Rechte in unzulässiger Weise die TV-Produktion ins Spiel zu bringen. Im Sinne: Wenn wir die Rechte nicht bekommen, dann produzieren wir die Spiele nicht. Die Spiele müssen ja fürs Fernsehen produziert werden. Dumm gelaufen: Die Liga hat mit der SRF-Produktionsabteilung den Vertrag bereits um weitere fünf Jahre verlängert. Ein Auftrag, der über fünf Jahre gut 30 Millionen Franken einbringt. Was nun dazu führte, dass vor den Hockey-Stadien die SRF-Fernsehwagen stehen, die produzierten Bilder aber nicht mehr auf den SRF-Bildschirmen zu sehen sind.
Nur Live-Hockey für die Deutschschweiz?
Interessant auch: TV 24 kann das Tessin und die Westschweiz nicht bedienen. Unser öffentlich-rechtliches Fernsehen, das ja eine Dependance in der Westschweiz und im Tessin führt, hätte die Möglichkeit, wenigstens die Live-Rechte für das Tessiner Fernsehen (RSI) und das Welsche Fernsehen (RTS) zu bekommen. Bisher weigert sich Leutschenbach auf dieses Angebot einzugehen. Gut möglich, dass für die Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahlern im Tessin und in der Romandie die Bildschirme des staatstragenden Senders nächste Saison ebenfalls schwarz bleiben und im Tessin die Derbys und die Playoffs auf TeleTicino, dem TV-Sender aus dem Imperium von Ambris Vorsitzenden Filippo Lombardi übertragen werden.
Eine Episode mag illustrieren, wie frostig das Klima zwischen unserem staatstragenden Fernsehen und den Entscheidungsträgern des nationalen Hockeys geworden ist. Wegen der Pandemie musste die Liga im letzten Frühjahr die Playoffs im Halbfinal und im Final vom Format «Best of Seven» auf «Best of Five» zurückfahren. Notwendig waren also nur drei statt vier Siege.
Letzte Saison liefen die TV-Rechte noch über den Verband (ab nächster Saison ist die Liga juristisch eigenständig und die Rechte sind von der Liga verkauft worden). Also hat nun Leutschenbach vom Verband wegen der Verkürzung des Halbfinals und Finals Geld zurückgefordert. Etwas mehr als 200 000 Franken. Juristisch ist das durchaus korrekt: Eingekauft hat Leutschenbach Playoffs mit der Formel «Best of Seven». Es hat durch die Verkürzung auf «Best of Five» mindestens drei Spiele weniger gegeben. Politisch ist die Rückforderung allerdings heikel. Zumal der andere, wichtigere TV-Partner MySports auf Rückforderungen verzichtet hat. Obwohl MySports als Bezahlsender durch die Verkürzung klar berechenbare Einnahmeausfälle hatte. Aber angesichts der guten langjährigen und künftigen Zusammenarbeit ist auf eine Rückzahlung verzichtet worden.
Brisant: Da der Vertrag bis und mit dieser Saison noch über den Verband läuft, muss der Verband die sechsstellige Rückforderung berappen und die Klubs kommen ungeschoren davon. Der Verband bezahlt. Weil er – anders als die Liga – weiterhin auf SRF angewiesen ist. Sonst überträgt niemand mehr die bedeutungslosen Testländerspiele und Frauen-Länderspiele. Die offizielle Stellungnahme aus Leutschenbach: „Die SRG hält sich an die vertragliche Verschwiegenheitspflicht und äussert sich generell nicht zu vertraulichen Gesprächen mit Geschäftspartnern.» Der Verband äusserst sich zu der delikaten Sache gar nicht. (kza)
Alles, was dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch bleibt: Bedeutungslose Länderspiele, die Hockey-WM und der Spengler Cup. Die Rechte an den Länderspielen vergibt der Verband und nächste Saison sollen erstmals auch Frauen-Länderspiele gezeigt werden. Die WM-Rechte hält der Vermarkter Infront. Vom HC Davos bekommt SRF die Live-Rechte am Spengler Cup. Nächste Saison werden die Spengler Cup-Partien die einzigen Live-Spiele aus dem nationalen Klubhockey auf den SRF-Bildschirmen sein. Der Bitte um eine Stellungnahme ist Leutschenbach nicht nachgekommen. Lino Bugmann, Mediensprecher SRF-Sport erklärt kurz und bündig: «Aus Gründen der Vertraulichkeit kann sich die SRG aktuell nicht äussern zu diesem Thema.»
Der Verlust der Hockey-Rechte hat auch politische Brisanz. Die Befürworter der «Halbierungs-Initiative» werden darauf verweisen: Wozu so viel Geld für ein staatstragendes Fernsehen, das nicht einmal mehr willens oder fähig ist, die Spiele der nationalen Eishockey-Meisterschaft zu übertragen?