Eklat bei Fecht-WM: Verweigerter Handschlag sorgt für russischen Sitzstreik
Anna Smirnowa sass auf einem Plastikstuhl mitten auf der Planche und wollte nicht gehen. 10 Minuten, 20 Minuten, 30 Minuten protestierte die Russin nach dem umstrittenen Ende ihres WM-Kampfs gegen die ukrainische Fecht-Olympiasiegerin Olha Charlan. 45 Minuten dauerte der Sitzstreik schliesslich, erst dann trat Smirnowa den Rückzug an.
Vorausgegangen war ein denkwürdiges Säbelgefecht mit einem noch denkwürdigeren Ende. Lange war fraglich, ob Fechtstar Charlan in Mailand überhaupt gegen Smirnowa antreten würde. Sie tat es – und gewann klar mit 15:7, begleitet von «Slawa Ukraini» („Ruhm der Ukraine»)-Rufen ihrer 20-köpfigen Delegation. Es war ausserhalb des Tennis der erste sportliche Wettbewerb zwischen der Ukraine und Russland seit Beginn des Krieges.
Vor dem Kampf deutete nichts auf eine Eskalation hin. Charlan hatte zwar schon vor der WM im AFP-Interview angekündigt, wie ihre Vorbilder im Tennis auf einen Handschlag mit Russinnen verzichten zu wollen („Ihr Land bombardiert und tötet unsere Landsleute»). Doch am Donnerstag gingen beide Kontrahentinnen zunächst sogar kurz aufeinander zu, kreuzten die Klingen.
Nach dem Gefecht wollte Smirnowa aber mehr: Die Russin streckte ihre linke Hand aus und trat Charlan entgegen. Die Ukrainerin schüttelte jedoch nur kurz den Kopf und hielt ihr stattdessen den Säbel entgegen. Hände schütteln, so viel wurde deutlich, wäre dann doch etwas zu viel des Guten.
Während Charlan daraufhin die Planche verliess, blieb Smirnowa einfach stehen – bis ihr irgendwann ein Stuhl gereicht wurde. Es begann das lange Warten. Der Kampfrichter redete vergeblich auf die Russin ein, bis diese dann doch Platz für die längst wartenden Fechter nach ihr machte.
Es war ein Dilemma fast mit Ansage: Bei der WM dürfen Fechterinnen und Fechter aus Russland und Belarus in den Einzelwettbewerben als neutrale Athleten starten. Die ukrainische Regierung hatte ihren Sportlern zunächst untersagt, gegen diese anzutreten. Am Mittwoch wurde diese Vorgabe jedoch aufgeweicht, nun sind nur noch Kämpfe gegen Sportler untersagt, «die die Russische Föderation oder die Republik Belarus repräsentieren».
Tennis als Vorbild
Charlan hatte schon vor der WM erklärt, gerne gegen Russinnen fechten zu wollen. «Es ist wichtig für unsere Nation, dass wir nicht auf der Couch sitzen bleiben», sagte die 32-Jährige der Nachrichtenagentur AFP. Die Soldaten an der Front verfolgten ihre Gefechte, führte Charlan aus. Als Vorbild nannte sie Tennis.
Wie ihre Kolleginnen dort würde sie nach einem Gefecht einer Russin den Handschlag verweigern. Am Donnerstag liess sie den Worten Taten folgen.
Ein Jahr vor Olympia in Paris wurde damit erneut deutlich, dass der von IOC-Präsident Thomas Bach erhoffte «normale» Wettkampf zwischen Ukrainern und Russen – auch als neutrale Athleten – kaum realisierbar ist. Noch ist die Teilnahme der «neutralen» Sportler aus Russland und Belarus in Paris nicht offiziell. Sollte dieser Fall jedoch eintreten, droht ein Boykott der Ukraine. (sid)